Richard Wherlocks Uraufführung vom 11. Jan. 2008 in Basel
Finger und Daumen zu einem Schnabel gepresst, ins Profil gedreht und armlang in die Höhe gereckt – ein Schwan wie im Schattenspiel. Den freien Arm – wie nach dem Fliegen – auf den Rücken verstaut und das ganze tief in eine ausgedrehte Beinbeuge (grand plié) versenkt: da haben wir den fertigen Schwan, der sich auf's Wasser niederlässt. Das geniale Leitmotiv vereint tierische Gestalt und Gewohnheit. Die Bewegungen des Tieres im Rampenlicht sind allerdings aus dem Kanon des Tanzrepertoires geschöpft. Es finden sich persifliert die Armwellen des romantischen Originals (vor dem Körper überkreuzt!) als auch männliche Flügelschläge wie in Mattew Bournes Swan Lake (1995). Wherlock will keine ornithologische Verhaltensforschung betreiben, das ist offensichtlich. So blendet er das Watscheln auf dem Festland aus, mit welchem Mats Ek die Kehrseite des eleganten Wesens 1987 blossstellte. Oder fällt es der tanzevolutionären Selektion zum Opfer? Als ehemaliger Rambert-Schüler und –Tänzer hat Wherlock keine Probleme, den Schwänen jede Menge moderne und überraschende Wendungen auf den Leib zu schreiben. Auf der Suche nach Entdeckungen wird ein Betrachter sicher bei diesem Teil des Abends, am See, fündig: wenn z.B. im Schwarm der Kopf über die Schultern kreist und die Achseln wie zum Abschütteln tropfnasser Flügel zucken.
Wie federleichtes Schwanentüll auf schweissblanke Männerhaut kontrastiert so kontrastieren bombastisch in Arabesquen gepeitschte (Fouettés-Arabesques) Arme und Beine zu geknickten Flügeln und einwärtsen ‘Enten’flossen. Wherlock hat keine Berührungsangst vor Stilen. Selten stilhomogen dagegen gelingt ein Duett zwischen Prinzessin (Aurélie Gaillard) und – verstorbener - Mutter (Cristina Sciabordi). Abseits allen Prunks im märchenhaften Grün eines hochragenden Waldes holt die Erscheinung mit wiegenden und ausholenden Bewegungen ihre Tochter ein. Diese erinnert-ahnt-versteht und folgt. Ein Juwel an getanzter Kommunikation. Im Palast dagegen ist das Leben auf Lüge und Intrige aus. Des Hofkanzlers Drahtzieher (Ayako Nakano und Sergio Bustinduy) defilieren mit betonter Virtuosität die gesamte Palette wetteifernder Eitelkeiten, die über die exotischen Einlagen der Musik der heutigen Choreographen-Generation vererbt ist. Die festliche Gesellschaft steht belustigt, aber steif am Rand wie zu Zeiten der Choreographieväter Ivanov und Petipa. A Swan Lake folgt getreu dem hergebrachten Libretto, webt gar noch eine grimm’sche Narration ein, um mit sechs zu Schwänen verwandelten Brüdern den Schwarm heterogener zu gestalten.
Jeder scheint an diesem Abend auf seine Kosten gekommen zu sein, die Liebhaber der klassischen Linie wie die Neugierigen auf Schrägheiten, als auch die dankbaren Hörer einer nicht zu lieblichen Interpretation der Originalpartitur Tschaikowskys unter Leitung David Garforths.
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