erschienen in ensuite Nr. 69, S. 12-15 :
I. Capoeira
Eins neun acht drei (1983)/
seit dem bin ich dabei/
früher war Breakdance mehr als Poserei/
damals noch in Strassen zu sehen/
B-Girls & Boys die gaben zu verstehen/
jetzt wird sich’s nur um`s Tanzen drehn!
“Ka-puera” heisst auf Tupí, der Sprache vor der portugiesischen Kolonisationszeit, Brachland mi hohem Gras. Doch deshalb wird nicht von einem Feldtanz die Rede sein. Denn ka-puera grenzte am Stadtrand Rio de Janeiros z.B., wo sich die eingeschifften Sklaven, die Plantagenbebauer, ihren marginalen Freiraum ertanzten. Der Kampftanz Capoeira hat zwar Vorläufer sowohl in der afrikanischen Kultur als auch der indianischen aus der Region, aber seine Eigenart entwickelte er unter den Kolonialherren. Den ganzen Tag von den Plantagenbesitzern drangsaliert, kehrten sie gern in den Kreis der Ihren ein, der wie im Candomblé Kult, ihrer Religion, sich mit einer Huldigung vor den Musikinstrumenten einstimmt. Berimbau, ein Saiteninstrument mit kürbisartigem Klangkörper gibt den Rhythmus vor. “Es gibt dem Capoeirista die Konzentration, die richtige Einstellung; ohne dem geht’s nicht”, meint Mestre Jairo in Bahia, wo er heute noch in den Strassen der Favelas lehrt. Das Fell der Seiltrommel Atabaque wird wie zum Empfang des Segens vom Tänzer berührt, und er betritt die Manege – kopfunter. Mit einem Radschlag begibt er sich in die Kreismitte, der Roda, wo alsbald ein zweiter sich dazugesellt: auch er berührt die Trommel und ein eigenartiger Dialog beginnt. Dem Martelo(Hammer)-Angriffstritt entspricht ein duckender Ausweichschritt und ein konternder Gegenschlag. Ein Scheinkampf entsteht, der ohne Berührung auskommt. Wie im Reigen löst ein neuer Tänzer per Handschlag den ersten ab, der sich in die Runde der
Umstehenden einreiht. Der Mestre am Berimbau singt vor, sie wiederholen den Refrain, ihr synkopiertes Klatschen hält das Geschehen wie eine akustische Klammer beisammen. Aus der Ginga, dem tiefen und stabilen Grundschritt, der nach beiden Seiten wiederholt werden kann, preschen die halsbrecherischen Sprünge, aber auch die peitschenden Beine hervor. Genau im Takt der Musik ausgeführt lässt Ginga den Partner berechnen, wann und woher die nächste Gefahr einbricht. Im ursprünglichen Capoeira Angola entweichen dem geduckten Schritt gern auch mal Täuschungsmanöver. “Malícia”, auf deutsch Schläue und Kriegslist, ist ein Wesenszug des Capoeira. Ein Straucheln wird da zum strategischen Schritt. Die Ambivalenz des Capoeira entsprach der Strategie der Konfliktbewältigung brasilianischer Sklaven: Ob Kampfübungen für den Widerstand, Kulttanz oder Strassenspiel, die Kolonialherren konnten es nicht entscheiden. So wurde sie von Machtgierigen mal verboten, mal instrumentalisiert. Heute
hat Capoeira eine Akademie, eine Rangordnung, weltweit Anhänger und wird seit Jahren in Frankreich gar an öffentlichen Schulen gelehrt.
II. Breakdance
Tanz erschafft seinen Musikstil
Was macht ein begnadeter Disk-Jockey, wenn Tanzwillige auf Partys rumhängen bis wieder geile Rhythmen aufkommen? Er nimmt diese Rhythmen und nimmt sie mal zwei. Zwei Plattenteller, zwei gleiche Platten und ein Verstärker waren die Instrumente Kool DJ Hercs aus der Bronx der 70er, um Tanzrhythmen am Leben zu erhalten. Kaum verklang der letzte fiebernde Beat des einen Vinyl, kurvte die Nadel schon auf der anderen. Der DJ rettet den Drive hinüber, indem er abflauende Songenden (und zögerliche Anfänge) kurzerhand übersprang. Meist waren es Schlagzeugsolos (Breaks), die drängten und sich entluden, welche so in mehreren Schleifen (Loops) wiederholt wurden. Diese bildeten den Grundbeat für den Hip Hop.
Den Beat begehrte also der Tanz. Die Breaks des DJ lieferten ihn. Die Lücken, die im Spagat zwischen zwei Plattentellern entstanden, steigerten nur die Spannung zur ersehnten Wiederholung. Und diese füllten die tanzenden B-Boys (und Girls) mit manch humorvollem Ausfall. Ein solcher Bodenfall brachte dem entstehenden Tanzstil den ersten Bodenkontakt, den sie nie mehr scheute, besagt eine Legende. Sonst tanzte man in der Bronx noch aufrecht: Variationen auf Lindy Hop bzw. Jitterbug (was Zappelphilipp bedeutet), Steptanz, Afro-kubanischen Tanz und Charleston. Der Beat des 4/4 Takts frass sich aber durch alles hindurch und der DJ heizte mit dem Mikro ein. Er skandierte Kurzreime wie aus Jamaica gewohnt (Toasts) - und schon war der Rap geboren.
Ein anderer liess gar die Platten tanzen: vor-rück, vor-rück, um den Übergang der Breaks noch in sich zu rhythmisieren. Seit 1975 bremsten und beschleunigten so DJ Grandmaster Flashs Finger die Platten, oder “scratchten” (kratzten) sie, denn der Puls des Beat durchzuckte alles. Die Tänzer ‘breakten’, wenn sie tanzten. Und zunehmend gen Boden. Bei so viel Animation wurde man kreativ. Im Bronx der fehdenden Banden und aufgestauten Energien kamen die Einfälle mit vollem Körpereinsatz. Die Stimmung war heiss, doch heisser noch auf den Strassen. Jedes Viertel der Bronx hatte seine Gang, jedes Fest unterlag deren Kontrolle. Afrika Bambaataa war Bandenführer der berüchtigten Gang Black Spades, als er Kool Herc 1975 erstmals hörte. Zwei Jahre drauf besorgte er sich sein eigenes Soundsystem und übernahm Hercs Stil. Seine Gang erlag dem Hip-Hop-Bann. Und mehr: der gewaltfreien Bewegung Zulu Nation.
Breakdance: gebändigte oder gebündelte Gewalt?
Afrika Bambaataa wurde in seiner Kindheit von den turbulenten Jahren der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 60er geprägt. Stolze schwarz-nationalistische Töne hörte er ebenso wie die der bekennenden Black Muslims am Familientisch. Doch die ausgewogene Vielfalt der Plattensammlung seiner Mutter von Myriam Makeba, Mighty Sparrow, James Brown bis Sly Stones integrationistischem Lied “everyday people” formten ihn weiter. So fliessen in seine Mitte der 70er gegründete Zulu Nation-Bewegung Religionen und Völker versöhnende Ideen ein. Er mobilisiert aber auch, ganz aufklärerisch, für hinterfragte Wahrheit – mit einer Prise Esoterik. Sein Motto positiv & engagiert forderte erstmal ganz konkret: Drogen-, Alkohol- und Gewaltverzicht. Afrika Bambaataa ist mit der Gründung dieser Bewegung wohl der spirituelle Vater des Hip-Hop. Er synkopierte als DJ die begehrten Breaks gern mal mit den eingespielten Reden des schwarzen Bürgerrechtlers Malcolm X. Tagsüber stellte er die Lautsprecher ins Fenster, damit die Strassenkinder von der Magie der Black Power Musik getrieben wurden - weg aus den Fängen der Gangs. Wenn aber wegen seiner Flugblätter mit Aufruf zum Drogenverzicht die (oft weissen) Dealer-Gangs aus Harlem zu seinem Fest anrückten, so brachen seine B-Boys wohl zur Not auch mal ein Genick.
Tatsächlich hatte jedes Viertel seinen DJ, seine Breakdancers (B-Boys). Doch seit Afrika Bambataas pazifistischen und antirassistischen Aufrufe, konnten diese Jungs Geländegrenzen übertreten, Nachbarsviertel aufsuchen, sich der Musik nähern und in ihren Kreis begeben. In der Manege rieben sie den Umstehenden die neuesten Tricks unter die Nase. In den Höfen und Treppenhäusern wurde geübt, damit die Replik am nächsten Tag sass. Jazzy Jay, ein B-Boy dieser Zeit erzählt in Jeff Changs Buch über Hip Hop, wie sie die Glassplitter sich dabei aus den Händen zogen. “Wir nannten das Kriegswunden” berichtet da ein anderer, “Du kümmerst Dich ´n Dreck drum, sonst bringt´s nix zu breaken”. Und ein weiterer: “Und sehr aggressiv, wirklich aggressiv, so dass ich anfangs dachte, es sei ein Gang-Tanz”. Fordert eine Gruppe eine andere im Breaken heraus – denn ohne Gruppen-Strukturen geht’s nun doch nicht -, nennt man es heute noch ‘battlen’. In der Bronx wurde gebreakt statt getanzt, um die Spannung abzuladen, Kraft zu demonstrieren, den Mehrwert des Körperkapitals im rohen Wettbewerb der Strasse kundzutun. (Und dieser akrobatische Mehrwert war zu steigern…) Matteo aus der legendären Rock Steady Crew beschreibt die Anfänge: “Die Gangs, die sich um ein Gelände stritten, organisierten ein Treffen, die beiden Kriegsführer ‘battleten’, und der Sieger des Tanzes bestimmte, wo der Kampf dann ausgetragen werden sollte” – denn nicht alle Gangs waren von Bambaataa zu bekehren.
Mit Stil
Trotz aller Aggression, die die Jugend des Armenviertels umhertrug, war es der Beat der Lebensfreude der in ihnen pulsierte und die verspieltesten Blüten trieb. Fundamental für das Breaken ist, sich dem Puls ganz zu ergeben: “you have to ride the beat”, meint Ken Swift der Pionier aus der Bronx. Deshalb geht der Toprock, Schritte im Stand zum Takt oder synkopiert, jedem Breaken voraus. Zum einen ist die Fussarbeit im Toprock, aber auch der Stil des Oberkörpers, welche die unverwechselbare Signatur des einzelnen B-Boys verraten. Das Popping z.B. ist ein Stil, der roboterhaft daherkommt, aber gerne sich zu einem fliessenden Vorwärtsbewegen kontrastiert, dessen Gewichtsverlagerung nicht auszumachen ist (der berühmt gewordene Moonwalk entwickelte sich von hier). Oder von einer alle Gelenke überflutende Körperwelle erfasst wird. Man kann auch ohne weiteres von einer Comic-Figur-Pose in die nächste springen und verharren, lehren die Meister. Je überraschender der Einfall, desto willkommener. Das Locking wiederum ist ein Stil, der gern mit weissen Handschuhen vorgetragen wurde, und wie eine gelungene Kreuzung zwischen Hampelmann und Verkehrspolizist erscheint. Die in alle Lüfte deutenden weissen Zeigefinger rühren der Legende nach aus der Zeit des Vietnam-Kriegs: Onkel Sam habe so auf Plakaten rekrutiert: “I want you!” Zum anderen präparieren die Schritte im Stand den Gang zum Boden, und der Beat dabei ist wie die Zündkerze am Motor, die richtig portionierte Energieentladungen für die Spirale abwärts zum Asphalt.
Breakdance-Welle
Ende der 70er sickerte der Breakdance in Downtown Manhatten ein. Vereinzelte B-Boys verschlug es nach Manhatten, wo sie, voneinander nichts wissend, durch Strassen zogen und sich aufspürten. Die so Rekrutierten trainierten, zogen sich Filme rein und wölbten und überschlugen sich bald auch mal nach Kung-Fu-Manier. Alt-Hippies, Künstlerrebellen, Aussteiger und Ex-Fans des Schwarzen Jazz aus New York City erkannten die Revolte und das Authentische der Bewegung, Hip Hop (der Name existierte noch nicht) eroberte die Clubs, - und die Kunstszene: Künstler auf der Spur der “radikalen Avantgarde”, wie sie meinten, dokumentierten den urbanen Stil im Film Style Wars oder im Handlungsfilm Wild Style. Die amerikanische Presse und Unterhaltungsindustrie folgte ihnen auf dem Fuss und stürzte sich auf die bizarren Früchte, die dem Asphalt entwachsen sind. Wobei mit Platten eindeutig mehr auf dem Markt zu holen war, weshalb der Tanz auch ins Hintertreffen geriet. Der Dokumentarfilm Style Wars filmte als erster den Strassentanz. Ein Jugendlicher namens Crazy Legs begibt sich dort auf alle Viere, über den Sixstep lässt er seine Beine in einem Radius wie eine Uhr um die Achse rennen. Sie hüpfen und überspringen sich dabei, als ob Stunden- und Minutenzeiger den Sekundenzeiger überholen wollten. Die aufgestützten Arme, der stabilisierende Mittelpunkt, müssen immer wieder die rhotierenden Beine übersteigen. Der Kreisbewegung lässt sich wie dem Wirbel ein Schwung entlocken. Der sich rücklings bei gleitenden Flächen im Backspin (Rückenpirouette) entlädt. Das sieht dann aus wie ein Käfer auf dem Panzer mit Drall. Albernheiten scheuten die B-Boys nie. Spass war das Ziel, und so nannten sie eine Endpose dieser Rückendrehung auch mal Baby-Freeze. Klar, ein gefrorenes Embryo. Dann erklärt er, wie er statt der Endpose mal einfach weiterdrehte. Und da ein Strudel neben der Zentrifugalkraft auch einen senkrechten Sog entwickelt, so kann die Kraft des Backspins bei genügend Schwung zwar nicht in die Tiefe, aber in die Höhe entweichen. Über die Schulter und unterstützt von den Unterarmen hievt der Junge sich kurzerhand in den Kopfstand. Style Wars wurde 1982 auf New Yorker Fernsehsendern ausgesstrahlt. Da sie nebst diesen Strassenkindern auch von Graffiti-Sprayern so sympathisch kündete, blieb diese erste Ausstrahlung in New York auch die letzte. Die Jagd auf die Sprüher wurde des Bürgermeisters Ehrensache. Dafür wurde man in Europa empfänglich. Anfang 1984 sendete das deutschsprachige Fernsehen Style Wars, was zur Einladung der betroffenen B-Boys Dynamic Rockers führte - ins Aktuelle Sportstudio. Denn zur Kunst gekürt war Breakdance noch lange nicht. Filme wie Wild Style oder Beat Style wurden zu Kultfilmen, besonders im Osten, wo der Nachrichtendienst nach anfänglicher Skepsis bald die Kapitalismuskritik des Ghettos roch und ihrer Arbeiterklasse schmackhaft machte. Manche B-Boys dort zehrten ein Dutzend mal, nährten die mitzuckenden Beine und sprachen dazu die Reime. Eine wahre Welle erfasste Europa.
Eins neun acht drei (1983)/
seit dem bin ich dabei/
früher war Breakdance mehr als Poserei/
damals noch in Strassen zu sehen/
B-Girls & Boys die gaben zu verstehen/
jetzt wird sich’s nur um`s Tanzen drehn!
So skandiert Storm, der grosse deutsche Breaker der ersten Generation, rückblickend.
Noch ein Jahr früher, bevor das erste bewegte Bild aus Übersee eintraf, hatte sich in Zürich eine kleine Szene gebildet, als die lokale Tanzschule Jazzeria in New York ein Wettbewerb ausschrieb und der erste Preis die Lehrtätigkeit an der Jazzeria war.
In Frankreich starte Hip Hop erst auf Radio7, 1984 schlug die Reihe Hip Hop auf TF1 mit den Paris City Breakeurs Tanzgruppe ein und in den Banlieus fieberte man den Rhythmus. Ähnlich in den englischen Arbeiterstädten Nottingham und Manchester oder dem ehemaligen Sklavenumschlagsplatz Bristol. Doch als Breakdance in England die High Society in der Royal Variety Show unterhielt, in Deutschland die Chips kauenden Fernsehzuschauer in “Breakdance - mach mit, bleib fit” anregen sollte, ist die Welle übergeschwappt und entliess die B-Boys wieder in den Untergrund. Das Interesse flaute ab, Breakdance hatte medial ausgedient. Die Pariser B-Boys wurden 1985 in der Metro gefragt, ob sie denn gerade dem Museum entkamen. Viele gaben hier auf. Die Hartgesottenen übten aber unbeirrt weiter, durchquerten Länder (das Tramperticket kam auf), um auf kaum angekündeten Jams aufzukreuzen. Die Gesichter kannte man langsam, die frisch erfundenen Tricks aber noch nicht. Die Stimmung war cool, und man tauschte die letzten Erfindungen aus. Klauen gilt nicht, man tanzte hier sowieso um Respekt und Ruf.
Breakdance heute
Seit in den 90ern die Jams sich zunehmender Beliebtheit erfreuen und zu Battle-of-the-Year oder Wettbewerbe auswuchsen, geht es nur noch um’s Gewinnen oder Verlieren. Die Zuschauer sind hinter Videokameras verschanzt und statt zuckender Beine geht nur ihr Daumen hoch oder runter. Hier ist der Zeitpunkt, sich der Zwischenschritte und ihres “Flavours” wieder zu entsinnen, meint der altgesottene Breaker Storm (und mehrfacher (Welt)Meister): “Auf den Tanzmeisterschaften kann man mit den übelsten Schritten perfekt auf die Breaks kommen und keiner registriert es. Dann kommt einer mit einer Powermove-Combo und der Saal tobt”/1/. Das ist also die Kritik der Old-School-Favoriten an die New-School-Anhänger: Die Old-School-Werte sind verraten! Gewinnsucht statt Stil. Der Hip Hop der Zulu-Nation-Ideale mit dem gemeinschaftlichen und positiven Denken sei durch den Kommerz verkommen. Massenverträglich und gewaltverliebt wie der Gangsta-Rap, voll “bling-bling!” und goldkettenumhangen verderbe die New-School auf den Videoclips unsere Jugend.
Und wenn da was dran wär’? Es liegt an der Hip-Hop-Generation von heute die Video-Clips-Ethik und -Ästhetik Lügen zu strafen.
Capoeira und Breakdance: Die Strasse als (Tanz)raum für Arme und spontaner Versammlungsort machte den Tanz gesellig, aber auch wehrhaft, ein Zufall?
/1/ Niels Robitzky, Von Swipe zu Storm . Breakdance in Deutschland,2000, S. 118
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