Samstag, 13. September 2008

Wayne McGregor


Interferenz im Tanz

Wayne McGregor versteht digitale Technologie nicht als ein modisches Gagdet des Tanzes. Bei einem interdisziplinären Workshop im deutschen NRW (2001) stellte er die Softwarenutzung vor und meinte zu deren Relevanz: "Der Einsatz von Technologie wird nur dann fruchtbar sein und neue ästhetische Dimensionen erschliessen, wenn man einer Idee nachgeht, die sich nur mit Hilfe eines technologischen Mediums realisieren lässt.” Und bei Entity: a diptych trieb ihn die Idee, ein wirklich fremdartiges Wesen darzustellen. Die auftauchenden Wesen haben Körper, die sich mal animalisch, mal roboterhaft gebärden oder mal neuronal (fehl)gesteuert. Da zuckt sekundenlang ein Kinn zurück, als ob sein Besitzer unter Strom stünde. Da stakst mit überstreckten Beinen mechanisch ein Wesen über die Bühne. Ein andermal entreissen sich die Extremitäten der Herrschaft des Oberkörpers als ob sie den Freudentanz ihrer gewonnenen Autonomie feierten. Dies alles wechselt so unversehens, wie die Beleuchtung von warmen Abendsonnentönen in gleissendes Neonlicht. Es gibt hier nichts zu verstehen, das Fremdartige fasziniert als solches. Und dankbarer Weise so vielfältig, als ob diese Entität (Entity) zu unserem Amüsement von einem anderen Planeten direkt auf die Bühnen des Lyoner Festivals 2008 als Special Guest gelandet sei. Nur: Ist nicht bei der Landung seine Software zerrüttet worden? Hat nicht die Klassik-Software mit ihren wunderbar geometrischen Gebilden mit der Software neuronaler Analysen der Gehirnarbeit bei Bewegungsabläufen (und vielleicht ihrer Manipulierbarkeit) interferiert? Wie kann sonst neuronale Disfunktion und spastische Verzerrungen mit den Versatzstücken des Balletts einhergehen? Wie sonst kann die Bewegungsdynamik so unbarmherzig fehlschlagen? Die Tänzerinnen werden beim Partnern gequetscht, umgerissen, die Arme klatschen auf die (Körper)Oberflächen, als ob Partnern nicht aus der vornehmen Zeit des Hofes herrührte. Kein Wunder, entwindet sie sich davonschlängelnd, - mit dem Kopf voran. Oder wurde das ausserirdische Programm nach der Landung von einem Virus befallen? Wie mögen sonst die funktionalen Körperpartien in afunktionale Zusammenhänge treten: Ein Ohr am Ellebogen, eine platt gedrückte Nase? Das wahrlich überraschendste ist aber dann, dass eine solche Haltung Emotion konnotiert. Nur konnotiert, ohne von ihr hervorgerufen oder bedingt zu sein. Sie liefern uns emotionale Splitter, ohne zu einem psychologischen oder dramaturgischen Programm zu gehören. Der Aufbau der konventionellen Musikform, des Streichquartetts (vom englischen Zeitgenossen Joby Talbot), in kontrastierenden Dynamiksätzen scheint das einzige dramaturgische Gerüst zu sein, das das Stück zusammenhält und charakteristische Atmosphäre verbreitet. Wenn daraufhin elektronische Musik (Jon Hopkins) mit einer Endlosschlaufe von Bassdrum-Schlägen, ätherischen Tönen, Gesäusel und süsslichen hohen Klavierklängen eine Projektionsabfolge von geometrischen Beweisen, Skizzen oder mikrobiologische Strukturen begleiten, fragt man sich doch, ob das nicht zu billige Animationen für ein Gepäck aus dem Weltall sind.

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