Freitag, 4. Dezember 2009

Ausblick Dezember 09


erschienen in Ensuite Nr. 84, S. 24:


Saburo Teshigawara und Sidi L. Cherkaoui in Freiburg

Werke dieser Choreographen von Weltrang tragen uns Gäste auf virtuosen Tanzbeinen heran : das Genfer Ballett ist das Wochenende mit einem spritzigen Programm zu sehen in Para-Dice/Selon désir/Loin.

Eine dt.-frz. Gesprächsrunde mit dem Direktor des Genfer Balletts und Tänzern soll im Anschluss an die Samstagsvorstellung in die Tiefe gehen...

Ort : Espace Nuithonie, Rue du Centre 7, Villars-sur-Glâne, Tel. 026 350 11 00

Datum : 12. Dez. 20:00 Uhr, 13. Dez. 17 Uhr

Les SlovaKs Dance Collective in Chiasso

Köstlich, wo der Körper von inhärentem Rythmus getrieben seine Phrasen hervorsprudelt. Mit fünf Jahren schon tanzten die Bengel – slowakische Folklore. Dann aber zog sie das Magnetfeld zeitgenössischen Tanzes, Belgien, an. Dort prägten Anne Teresa De Keersmaeker und Ultima Vez sie und lernten diese Wilden aus dem Osten erst einmal schätzen.

Ort : Cinema Teatro Chiasso Via D. Alighieri 3b 091 695 09 16

Datum : Donnerstag, 10. Dez. 20:30 Uhr

Israel Galván in Lausanne

Der avantgardistische Flamenco-Tänzer macht auf seiner Welttournee nach dem Festival von Avignon, Berlin, Rom, Paris in der Schweiz einzig in Lausanne halt. Dort sehen wir den faszinierenden und humorvollen Künstler vom Rhythmus seiner Absätze, von Gitarre und Gesang begleitet in La edad de oro.

Ort: Lausanne Théâtre Vidy, av. E.-Jaques Dalcroze 5 Tel. 021 619 45 45

Datum: 8.-20. Dez um 19 Uhr. Freitags 20.30, sonntags 17.30 Uhr.


Tanz & Film

Bern

Eine spannende Tanzpersönlichkeit wurde frisch verfilmt : Anna Halprin. Sie entflammte für die Ikonen der Moderne, wandte sich dann aber vom stilisierten Modern Dance ab und zog in den Westen. Wie ist die Postmoderne in Kalifornien? Sinnlich und natürlich. Auch wenn Merce Cunningham bei ihr aufkreuzte… Titel : «Breath made visible »

Ort: Bern Kunstmuseum Hodlerstrasse 12, Tel. 031 328 09 44

Datum: 05.01, 10:00 Uhr

Zürich

Vom Forschungsjahr in New York bringt Fachfrau Claudia Rosiny (mediathek tanz.ch) konkretes Anschauungsmaterial mit zum Thema: Wie beeinflusst Film den Tanz? Vom Stummfilm bis zu Tanzclips auf Youtube. Titel : «Zeitsprung: Tanz im frühen Film »

Ort: Tanzhaus Zürich, Wasserwerkstrasse 129 Tel. 044 350 26 11

Datum : 16. Dez. 19:30

Mafalda Company im neuen Jahr

Dicht hängende Bänder waren letztes Jahr das Umfeld der Tänzer, diesmal Kugeln. Wie diese den Tanz mitformen, wie Bewegung und Bühnenbild vor unseren Augen zu einem Kunstspektakel verschmilzt, zeigt die erfahrene Choreographin Teresa Rotemberg und bildende Künstlerin Eva Wandeler. Eine Kostprobe der Premiere ist in der Tanzpause zu sehen.

Ort : Tanzhaus Zürich, Wasserwerkstrasse 129 Tel. 044 350 26 11

Datum : 6. Jan. 12 Uhr


Montag, 30. November 2009

Merce Cunningham


erschienen auf tanznetz.de am 29.11.2009:

Merce : Meister der Komposition von Form, Raum und Dynamik

Noch bevor die Merce-Cunningham-Dance-Company (MCDC) die kommenden zwei Jahre mit dem tänzerischen Nachlass auf Welttournee geht, konnte Genf sie zu ihrer umfassenden Merce-Präsentation einladen. Vom 26. bis 28. November war im Bâtiment des Forces Motrices CRWDSPCR, Second Hand und Squaregame zu sehen.

In CRWDSPCR (1993) sind zwölf Tänzer mit Bruchstücken aus Mondrians Gitterwerk auf dem Leib vor einem tiefen Blau. Wie sie die Quadratausschnitte zueinanderfügen ergibt jeweils das Bild. Ob disparat oder engverflochten, eines wird klar: der Meister der Komposition von Form, Raum und Dynamik ist hier am Werk.

Doch erst einmal zischt und knistert es aus allen Ecken. Noch scheint der Saal statisch geladen zu sein und beim ersten Kontakt funkt’s und rauscht‘s (Musik : John King, blues’ 99, live erzeugt vom John Cage-Nachfolger Takehisa Kosugi und Stephan Moore). Behutsam biegen sich darum die Tänzer in ihre symetriefähigen Posen. Ihr tiefer Ausfallschritt weit weg vom gestrecktbehaltenem Standbein ist nunmal nichts anderes als die Attituden des Nebenmanns im Stand. Nur eine Frage der Spiegelachse, vielleicht auch des 1993 erstmals angewandten Softwareprogramms Life-Form. Sei die Etüde rechter Winkel auch mit diagonalen Armen, den Winkelhalbierenden, durchsetzt, wir fühlen in diesem Adagio Mondrians Netz vor unseren Augen entstehen. Da fegt plötzlich eine kleine Person mit quirligen Drehungen über das Feld. Diesem Wirbelwind an Chaînées entreißt die Fliehkraft immer wieder in hohem Bogen ein gestrecktes Bein. Links marschiert tief in die Knie gesackt eine Truppe dicht an dicht auf uns zu. Vor der Rampe und dem Graben wendet sich ihr Schicksal, und die spitzen Knie im Tiefgang reißen die Truppe rechtzeitig um die Ecke. Knie als Wegweiser, Impulsgeber, Fokus? Diese Idee kommt nicht von Life-Forms. Humor ist so wenig die Gabe des Computers wie das Spiel mit der Dynamik. Es war Merce, der die Komponenten wählte, so kontrastiv wie nur möglich. Mag er die Reihenfolge oder Zusammensetzung dem Würfel oder Programm überlassen, sein Hang zum Zufall zeigt : ihm liegt an der Abwechslung.

Und diese kommt uns zugute. Das Publikum der ausverkauften Vorstellungen verfolgte gebannt die unentwegt wechselnden Form(ation)en. Ob paarweise, unbequem dicht und synchron, im Trio, Quartett oder Quintett, vervielfältigte Posen schärfen den Blick für die Form der Teile, und diese den Blick für die Geometrie des Ganzen. Genau da darf aus dem Gefüge einer seinen Kopf vogelhaft herumreissen und keck in den Zuschauerraum picken…

Second Hand entstand 1970, als John Cage Erik Saties Socrate bearbeiten wollte. Da er die Rechte dazu nicht erhielt, nutzte er nur die Struktur und Phrasierung des Originals und füllte sie mit zufallgenerierten Noten. Die so ausgewürfelte Tonfolge des Klavierstücks tröpfelt über lange (Durst-)strecken ohne ein Akkord vor sich hin. Einzig Merce setzt da bunte Farbtupfen und willkommene Dynamik entgegen. Nach seinen Worten sei dieses Werk das letzte, das auf eine Partitur horchte. Meinte er vielleicht seine ironischen Akzente, kleine brüske Wiederholungen des Tänzers, wenn die Musik nicht von der Stelle zu kommen scheint ? Oder wenn zuletzt die endlich volleren Klänge im Nachhall ihrer langen Pausen den Raum eröffnen für Merce’ Feuerwerk an Phrasen, welches die gesamte Gruppe vom linken Bühnenrand zum rechten peitscht, bevor der nächste heissersehnte Akkord den Richtungswechsel gibt, da capo… ?

Zwar sieht man Cunninghams abstrakte Vorliebe sich abzeichnen, wenn Rundungen und Wölbungen enge und weite Winkeln förmlich in Klammer setzen. Die zahlreichen balletthaften Phrasen dagegen wirken verstaubt. Ungeschickt, dem Publikum eine anachronistische Werksfolge zu präsentieren.

Das nur sechs Jahre hierauf entstandene Stück Squaregame dagegen wirkt noch ganz frisch. Inmitten eines weiten dunklen Umraums ist ein weisses Quadratfeld, das die Tänzer beisammenhält. Die Ecken sind mit prallen Plastikballen abgesteckt, hinter welchen sie hervorlugen. Bis sie ihre gewitzte Partie spielen. Auf denen sie auch mal loshüpfen, wenn sie am Zug sind. Ein Spiel, das alle Regeln gegeneinander ausspielt, das Überspringen, Verschanzen, Verketten bis schließlich das lustige MCDC-Pack sich türmt, beim letzten Musikakzent den geworfenen Ballen noch hoch über’m Kopf und - der Vorhang fällt.

Man wünscht der Company und dem preisgekrönten Choreographieassistenten Robert Swinston zur perfekten Belebung des Merce-Erbe noch eines hinzu: auf daß uns der innovative Geist von Merce erhalten bleibt !

Ventura Dance Company


erschienen auf tanznetz.de am 08.11.2009:

Tanz auf der Höhe der Technologie

Ventura Dance Company feiert seine Premiere mit “2047”

Das Tanzhaus Zürich bot am 6. November niveauvollen Tanz unter Einsatz von High-Tech.

Ein androides Wesen in anliegendem Weiß steht auf einer Leinwand. Wie auf einer Laufbahn, die sich von weit her aus dem Horizont unter ihre Füsse erstreckt. Sie ist eher eine Fahrbahn, denn ihre Linien, welche auf uns zuströmen, verbildlichen: die vertanzte Geschichte ist eine Reise. Eine Reise in der Zukunft. Die Science-Fiction-Episode aus dem preisgekrönten chinesischen Film “2046” mit der Reise aus einer Stadt aus dem All gab dem Tanzstück den Namen und dem Choreographen Pablo Ventura die Inspiration. Mit dieser Fahrt versucht ein Mensch, sich aus den Klauen seiner Vergangenheit zu entwinden, und die dabei behilflichen Hostessen sind – zeitlose Androiden. Der Flair beschleunigter Mobilität zwischen künftigen kosmopolitischen Städten hängt buchstäblich über dem Geschehen: Eine breite Videoprojektion schwebt über der Tanzszene, eine traumhafte Verfremdung einer Bahnreise aus der Metropole Singapur. Umrisse verschwimmen, Auflösung und Flächenstruktur wandeln sich wie unsere Farben im Traum. Fremd und berührend zugleich hebt das Video so angenehm ab von der scharfkonturierten retuschierten Ästhetik heutiger Werbespots.

Im eigenen Netz gefangen

Unter dem Videofilm schraubt und faltet sich nun das fremde androide Wesen. Die ruhigen senkrechten Linien, die bislang über Wand, Boden und das Wesen hinweghuschten, fangen an zu schwirren und reagieren wie ein Resonanzbecken. Zuckt der Android nur, erzittern sie in seinem Rhythmus, greift er weit in den Raum, dehnen sich die Parallelen wie breitgezupfte Saiten. Dann aber ergiesst sich eine Graphik wie eine Flutwelle über die abgebildete Kontur: In der Logik von Schwarmverhalten verdichten sich nervöse feine Querlinien, umschwirren sie die Kontur und rauschen von dannen. Daniel Bisig, Biologe und Programmierer hat die interaktive Software Swarm erstellt. Sie greift über Kameras die Parameter von Bewegungsdynamik und ihren Vektoren als auch den Konturen des Tänzerkörpers auf der Bühne heraus. Die Parameter evozieren ein Schwarmverhalten in der Graphik, welche im Stillstand nur die herablaufenden Linien bildet. Der Android steht so inmitten eines projezierten Netzes, das er sich selbst überwirft. Je agiler er wird, desto vertrackter spannt es sich um ihn. Darf ein technologisches Produkt wie dieser künstliche Mensch ungestraft nach Selbstbestimmung heischen?

Wie immer die Antwort ausfällt, der noch-echte Mensch der Zukunft, in Venturas Stück der Mann (der versierte Asiate Khai Vu), ist bereits durch Technologie infiziert. Seine Bewegungen gleichen denen der weiblichen Androiden. Ihre geschäftige Gelenkwinkelungen suggerieren Hyper-Funktionalität. Wie Scharniere öffnen und falten sich die Glieder an den überraschendsten Stellen der Gliedmassen und man ahnt, warum manch geneigter Kopf darob vergessen ward. Wohl schlicht, weil ihm keine Funktion zuteil ward. Doch mit dem Kopf und dem Blick geht ein Schlüssel verloren. Wie in Forsythes The Loss of a Small Detail ist der Fokus, der den Brennpunkt einer Bewegung extern festhält (im Klassischen oft in Verbindung mit dem Epaulement), den Androiden abhanden gekommen. Folglich absolvieren sie die unvollstellbarsten Verkettungen der Glieder– ohne einen Blick. Verloren und bezugslos läuft perfekte Mechanik ab wie ein Hohn auf die Verselbständigung purer Funktionalität.

Und was macht ein Mensch angesichts kühler Abläufe zu seinen Diensten? Wenn die Hostessen nach verquerten Sequenzen kopfüber einhalten, den Kopf begraben, und weitreichende Beine wie Antennen sondierend ausschwingen? Er schaut und greift ein. Doch seine Manoeuver erwirken keine emotionale Rückmeldung. Eben, keinen Paartanz.

Wer sich fragt, wie im zeitgenössischen Tanz mit seinen disparaten Blicken und geräuschhafter ‘Musik’ noch gestochenscharfe Gleichzeitigkeit erzielt werden kann, der wende sich an den Bewegungsprogrammierer, den Choreographen Pablo Ventura. Er gibt zu Vorstellungsbeginn mit einem Metronom den Takt an. Dieser pulsiert dann seinen Tänzern synchronisiert und digital, rotleuchtend auf der Brust. Er zieht also seine Figuren auf, und die Vorstellung läuft. “Dreitausend Takte lang”, meint ein Tänzer.

Eine Welturaufführung auf der Höhe heutiger Technologie (interaktive Soundtrack-Verarbeitung von Forsythes Improvisation-Technology-Mittäter Christian Ziegler, Software und Video von Daniel Bisig und Pablo Ventura vormals aus dem ArtLab der Uni Zürich) und kein Kritiker geht hin? In der Schweiz ist das möglich. Die dezentralisierte kulturpolitsche Unterstützung des Tanzes liegt im Argen, scheint’s. Ebenso die Tanzpresse. Man wünscht der Companie, daß ihre Ausserirdischen auf der Auslandstournee abheben können. High-Tech aber nie ihnen die Show stiehlt.

Freitag, 6. November 2009

Ausblick November 2009

erschienen in Ensuite Nr. 83 S. 22:

Merce Cunningham in Genf

Ein Höhepunkt im diesjährigen Gastspielangebot in der Schweiz ist eindeutig die Merce-Cunningham-Companie aus New York. Intelligent (auch vermarktungstechnisch) ist, wie der westschweizer Verein zeitgenössischen Tanzes ADC in Genf dieses Ereignis einzubetten weiss : Ehemaliger Cunningham-Tänzer Foofwa d’Imobilité hält Fortbildungs- und Meisterkurse in dieser Technik, seltenes Dokumentationsmaterial wie auch künstlerische Dokumentarfilme (von Charles Atlas) sind zu sehen, Vorträge, Ausstellung und gar manch postmodern-konzeptuelle Verwertung von Merce’s Tanz durch geladene Choreographen.

Gastspielort der Cunningham-Companie : Bâtiment des Forces Motrices, Place des Volontaires 2, Genf 022 322 12 20

Datum : 27., 28., 29. November 20.30 Uhr

Futuristische Präzision in Zürich

Ein künstlerischer Erbe Merce Cunninghams ist in Zürich zu sehen (vgl. Artikel). Der in der Schweiz Choreographie Lehrende Pablo Ventura spielt mit gleicher Hingabe wie die Coryphäe mit neuesten technologischen Mitteln im Dienste des Tanzes. Die Software Life Forms ruft niegesehene Formen ins Leben. Sie materialisieren sich in anspruchsvollen Tänzern. Eine Entdeckung.

Ort : Tanzhaus Wasserwerkstrasse 129 Zürich (0)44 350 26 11

Datum : 5., 7.,. Nov. 20h, 8. Nov 18h

Aufstieg in Genf

Bevor die aufstrebende Genferin Maud Liardon vielleicht in der Deutschschweiz zu sehen ist, findet die Premiere ihres Stückes Zelda Zonk (siehe Ensuite-Artikel) in Genf statt. Auf dass talentierte Tänzer auch Talente im Tanzmachen entfalten !

Ort : adc - salle des Eaux-Vives, rue des Eaux-Vives 82-84, Genf 041 22 320 06 06

Datum : 4 bis 15. Nov.

Romantisches in Bern

Dass dem Bern Ballett unter dem Damokles-Schwert der Schliessung der Sinn nach Romantischem steht, ist beachtlich. Vielleicht fliesst etwas jugendlich Aufrührerisches gegen auferlegte Vorgaben und (ökonomischen) Räsonnements ein?

Ort : Stadttheater, Kornhausplatz Bern, 031 329 51 51

Datum : 08.11.2009, 15.00 Uhr,13., 27. Nov. 19.30Uhr

Tanz pur in Basel

Die Cathy Sharp Companie ist volljährig und steht im 18. Jahr zu ihrer Identität : Komplexe und dichte Choreographie für die Tanzwut der Mitglieder (vgl. Text) : The Urgency of Now (pure dance)

Ort : Theater Roxy, Muttenzerstrasse 6, Birsfelden/Basel 061 206 99 96

Datum : So. 01., 08. November 2009, 19h
 Mi. 04., 05., 06., 07. Nov., 20h


3 Schweizer Choreographen

erschienen in Ensuite Nr. 83 S. 20-22:

Drei in der Schweiz tätige Choreographen bereiten neue Tanzabende für uns vor. Ensuite sprach mit ihnen.

1. Pablo Ventura Dance Company

2046 ist das letzte Jahr der garantierten Selbstverwaltung Hong Kongs. 2046 ist auch der Name einer fiktiven Stadt, zu der man eine Raum-Zeit-Reise durchs All unternehmen kann – um (ausgerechnet !) seiner eigenen Vergangenheit zu begegnen. Sie gab dem Film des Chinesen Wong Kar-Wai den Namen, der eine Auszeichnung beim Europäischen Filmpreis 2004 erhielt. In einnehmenden atmosphärischen Bildern malt er darin eine kurze Science-Fiction-Episode, die Rückreise aus der zeitlosen Stadt. Die Episode heisst entsprechend « 2047» und ist ein Schlüssel zur (Film-)Wirklichkeit, zum Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Genau diese filmische Schlüsselepisode, die Raum-Zeit-Reise, nimmt der Choreograph Pablo Ventura als Unterlage für sein neues Stück 2047.

Das Tanzstück ist die Abkehr von seinen Artificial Intelligence Labor-Forschungsarbeit, das er an der Universität Zürich betrieb. Die wissenschaftliche Kollaboration mit Daniel Bisig u.a. sollte einen tanzenden Skelett-Roboter generieren. Dem Tanz wäre damit aber nicht viel gewonnen.

Er hatte bereits eine tanzende Frühversion dieser Maschine im Schlussteil seiner Trilogie De Humani Corporis Fabrica seinen Tänzern (triumphierend ?) gegenübergestellt. Als er im Anschluss sich rein technischen Installationen auf Cyber-Tagungen z.B. in Singapur zuwandte, schien er der Tanzwelt abhanden zu kommen. Die kubische Bewegungsskulptur, die live auf Menschen und Reize reagierte war mehr Spektakel, denn Kunst.

Welcome Back to (dance) reality ! Nun wendet er sich also vom Roboter ab und formt wieder Gestalten aus Fleisch und Blut. Ganz wie der Protagonist der Filmepisode 2047, der am Ende der Raum-Zeit-Reise erkannte, dass er sich von seiner Liebe zu einem Androiden lossagen muss…

« ich habe die letzten 10 Jahre viel gelernt bei der Arbeit mit dem Computerprogramm LifeForms ». Dieses Programm entwickelte man mit Merce Cunningham für dessen zufallsgenerierte Posenpuzzle-Technik. Bei Pablo Ventura werden aber nicht wie beim berühmten Meister wiedererkennbare (Ballett-) Versatzstücke durchmischt, sondern die Knochen selbst, scheint es. Schaut man sich in der Library um, der Posensammlung des Softwareprogramms, dünkt man sich im Gruselkabinett. Gelenke türmen sich übereinander, begraben Figur samt Kopf. Eine Sequenz , d.h. zehn bis fünfzehn solcher Monströsitäten, nennt sich « Phrase » und wird den Tänzern wie eine Partitur ausgeteilt. Diese studieren die Abfolge und ihre sekundenbruchteilgenaue Dauer. Doch wen wundert’s, dass sie nicht wissen, wie sie in die Posen hinein- und wieder hinausfinden ? Dafür wird der Hexenmeister gerufen. « Besonders wenn es zum Boden geht, muss ich her. Das Programm LifeForms sagt nichts über Gravität aus. Wie man am handlichsten mit ihr umgeht, zeige dann ich. »

Ich denke wie LifeForms

Wochenlang wurden die Phrasen, die die Choreographic Machine herausspuckte, einverleibt. Zum Glück mit einem gehörigen Anteil an repetitiven Posen. Aneinandergereiht sind sie einfach ein Stand-still, eine Verschnaufpause. « Wir haben 30 Minuten an individuellen Phrasen verarbeitet. Das halbe Stück steht. Diese Woche gab ich den Befehl « cut and paste » den Tänzern. In früheren Stücken machte ich diese Arbeit am Computer. Mittlerweile denke ich in seiner Begrifflichkeit und die Tänzer verinnerlichen sie. Sie können vom Fleck weg die Phrase A der Beine mit der Phrase B der Arme verbinden. » Was herauskommt, ist überraschend. Keine Spur von einer intentionalen choreographischen Handschrift. Oder doch ?

« Welche Qualität die Verbindungswege der Posen haben, bestimme schon ich. Und meine Arbeit ist sehr contrapunktisch. Während die Frauen Androiden sind, mit einem unfokussierten verlorenen Blick, ist der Mann als einziges menschliches Wesen kommunikativ. Und in der Form : Während die einen sich z

u Boden schrauben, darf ein anderer durchaus in die Höhe sprengen. »

Wenn demnächst noch der Befehl erfolgt, kopiere die Beinarbeit des Nächsten zu deiner linken und die der Arme zu deiner Rechten, (Ausdruck von genetischem Transfer ?) sind wir berufen, Mensch und Android zu entflechten und zu dechiffrieren. Auf, auf zum Decodieren !

Zur Tanzlandschaft Zürich

K.S. Mit sechs virtuosen Tänzern und technologisch anspruchsvollster Ausstattung – Sie arbeiten mit dem Medienkünstler Christian Ziegler zusammen, der Forsythes berühmte CD- Improvisation Technologie herausbrachte - : Wie schätzt Du die derzeitige Lage für anspruchsvollen Tanz in der Schweiz ein ?

V. : Früher musste man fünf Monate im voraus buchen, um einen Proberaum zu ergattern. Nun scheint es sehr leer hier. Dabei stürzt man sich als Tänzer im Herbst in die Arbeit. Ob das von einer Krise herrührt, weiss ich nicht. Ich habe diesmal nur Unterstützung von der Stadt Zürich. Was ich Herrn Ziegler, (Komponist und renommierter Videokünstler) zahlen kann, ist eine symbolische Summe, für die ich mich schäme. Was die Förderer gutheissen, scheinen Kleinprojekte zu sein. Ich visiere aber auch grosse Theater zum Gastieren an. Dass die grösste Stadt der Schweiz sich nicht leisten kann, eine mittelgrosse Companie, ein überwiegend schweizer Team zu unterstützen, ist entmutigend.

K.S. : Dann solltest Du mit Cathy Sharp Rücksprache halten, sie scheint das kulturpolitisch fortsc

hrittlichste Baselland seit 18 Jahren hinter sich zu haben.

V : Sie kann von Glück sprechen, dort ihr Standbein zu haben.

K.S : Und was hälst Du von der Präsenz des Tanzes in den Medien ?

V : Die Ankündigung von Gastcompanien funktioniert hier sehr gut, die Vorbesprechung ihrer Stücke. Nachbesprechungen, die Kritiken nehmen ab, scheint mir. Die lokalen Companien, wenn sie denn nicht Teil eines Trends sind, haben es schwer, bekannt zu werden. Mir fehlt seit zehn Jahren die Möglichkeit, mein Publikum heranzuziehen. Meines kommt – ironischerweise - nicht aus der zeitgenössischen Tanzszene. Meine Stücke besuchen ein breitinteressiertes Tanzpublikum und Liebhaber von Architektur und Videokunst.

2. Cathy Sharp’s Company besinnt sich

Cathy Sharp, Ihre Company ist 18 Jahre alt. Sie ist gut etabliert und erfolgreich. Warum führen Sie im Titel Ihres neuen Tanzabends « The Urgency Of Now » den Zusatz « pure dance » ?

Ich wollte das nicht an die grosse Glocke hängen..

ensuite : .. Sie setzen den Zusatz auch in Klammer..

C : ja, eben. Mit diesem Programm gelingt es uns, uns wieder auf das ursprüngliche Profil und die künstlerischen Werte der CSDG zu besinnen. Wir haben nun mal keine theatralische und keine performative Ausrichtung. Auch wenn - wie das letzte Stück mit der experimentellen Musikgruppe Stimmhorn zeigt - wir da ganz offen sind. Also : wir bieten puren Tanz.

Der kommende Tanzabend vereint Werke, die choreographisch sehr dicht sind und Gültigkeit besitzen ohne jeden Schnickschnack. Sie wurden vor zehn Jahren für uns geschaffen. Und sie sind es wert, zu überdauern.

Spannende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit

Als die beiden Choreographen der Stücke, Nicola Fonte und Philippe Blanchard , mir damals empfohlen wurden, waren sie sehr junge aufstrebende Talente. Unsere Companie dagegen war bereits reif, auch dem Alter nach. Jetzt verhält es sich umgekehrt. Die derzeitigen Tänzer sind so jung wie Fonte und Blanchard es damals waren -, dynamisch und ausgesprochen bewegungshungrig. Es ist ein spannender Prozess zu sehen, wie gereifte Choreographen sich ihren Frühwerken stellen.

K : Ein solches Bewusstsein für Repertoirpflege ist selten im modernen Tanz.

C : Das ist richtig. Der junge Nicola Fonte kam damals gerade von der Nationaltanzgruppe in Madrid (Compania Nacional de Danza) unter der Leitung des begehrten Nacho Duato (einem ehemaligen Jiri Kylian-Assisten). Er mag dort für Repertoirpflege einen Sinn entwickelt haben. Ich tanzte mit Heinz Spoerli in Montreal. Auch wenn er klassischer ist als ich, den Wert eines Repertoires, der Wiederbelebung wichtiger Werke, teilen wir. Das Auffrischen aus eigener Hand aus zeitlicher Distanz lässt Relevantes erst richtig hervorkehren.

K : Jiri Kylians Stil ist, zeitgenössische, aber auch ethnologische Elemente für (klassisch) voll ausgebildete Tänzer fruchtbar zu machen, oder umgekehrt ausgedrückt, das Spektrum zeitgenössischen Tanzes durch anspruchsvolle Technik zu dehnen. So etwas schaffte noch Mats Ek. Der Stil, der auf der Verschmelzung auf hohem Niveau beruht, hat nie eine so breite populäre Verbreitung gefunden wie die experimentelle Performance-Art z.B. Liegt das etwa an den Anforderungen ?

C : Ja, meine Tänzer müssen sowohl im klassischen Tanz bestehen können, als auch im modernen und zeitgenössischen Tanz zu Hause sein. Sie befinden sich an der Schnittstelle beider Stilrichtungen. Und das schmälert sehr die Auswahl.

K : Dafür bietest Du im Gegensatz zur freien Szene und den dort üblichen Projektverträgen Saisonverträge an, einen weitsichtigen Spielplan und mit Ihren beruflichen guten Übersee-Beziehungen jährlich monatelange Tourneemöglichkeit.

C : Ja, meine Tänzer danken es mir mit Treue. Ich wollte von Anbeginn eine Companie gründen, die ich mit langem Atem heranbilden konnte. 30 Vorstellungen und zwei Produktionen jährlich (je eines für Baselland und Baselstadt) fordert und fördert sie.

K : Sie touren weniger in der Schweiz. Im Rahmen von Steps waren sie zweimal dabei. Passen Sie nicht in den Trend der übrigen Festivals ?

C : Wenn die Festivals einem Trend folgen müssen, dann tut es mir leid. Sie profilieren sich untereinander gar nicht so sehr. Man hat den Eindruck, manche Companien touren von Festival zu Festival.

K : Was bietet in Ihren Augen derzeit die Medienlandschaft für den Tanz?

C : Ich bin ganz einverstanden mit Heinz Spoerlis Anaylse, dass weniger Tanzkritiker engagiert sind. Und dass sie eine Ausbildung benötigen. Auch wir beginnen nicht gleich als Primaballerina. Und dazu gehört die Mobilität. Wenn die Zeitungen das nicht leisten,

müsste man fast erwägen, ob nicht der Tanzdachverband diesen Beruf und seine Mobilität unterstützt. Bei uns kommen nur Kritiker aus Basel und Freiburg in Breisgau vorbei. Umgekehrt weiss ich auch zuwenig von der Westschweiz. Man bleibt unter sich. Der Tanz und seine Arbeiter in den Studios brauchen aber Feed-Back und wollen ihre Arbeit unters Volk getragen wissen. Da reichen unsere Poster und Flyer nicht. Auch das Verschwinden der Fachzeitschrift von Gerhard Brunner, ist einVerlust : sie hinterlässt eine Leere in der Fachpresse. Die Tanzwelt wartet mit Spannung, was sie füllen mag.

3. Femme Fatale in Maud Liardons Zelda Zonk

Marylin Monroe hat mit 36 Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach sich das Leben genommen. Ein berufliches Leben in Glamour kollidierte mit einem unerfüllten Privatleben. Ihr eigenes Image, mit dem sie reüssierte, wurde ihr zum Verhängnis. Was in ihrem Innersten abging und sie nie wirklich ausdrücken konnte, interessiert nun die gebürtige Genferin Maud Liardon.

Auch sie ist 36 Jahre und hat eine erfolgreiche (Tanz-)Karriere hinter sich. Und auch ihr Privatleben blieb dabei eher finster. Diese Ähnlichkeit, ganz unter Beachtung der unterschiedlichen Proportionen, wie sie gesteht, berühre sie. Das Image, das man von Tanzinterpreten hat, suchte sie bereits in ihrem ersten Stück Arnica9CH (my life as a dancer) zu untergraben. Schmerzpillen und banale Gedanken begleiten dort visuell und akustisch ein Solo, das den Fingerabdruck von Giganten wie William Forsythe und Trisha Brown zu tragen scheint (deren Stücke sie mehrfach tanzte). Im neuen Stück geht Maud Liardon Marylin Monroes Zerbrechlichkeit hinter der Fassade auf die Spur. Als Zelda Zonk, ein Pseudonym, das sich Marylin bei ihrem Aufbruch nach New York zugelegt hatte, kontrastiert sie die leichte Gangart der Musicalästhetik der 50er mit den möglichen Gedanken der Depressiven in ihrer letzten Stunde.

Und hat sie bereits ihren eigenen Bewegungsstil ? « In Arnica9CH war das Bewegungsmaterial

eher ein Vorwand, um meine Kommentare und Brechungen anbringen zu können. » Nun, dieser Vorwand war auf höchstem Niveau. Doch auch nun dienen ihre Bewegungsrecherchen anhand von Filmmaterial aus den 50ern eher zur Illustration des Widerspruchs bei Marylin, meint sie. Dabei kann Spannendes herauskommen. Und vielleicht summiert sich all dies einmal zu einem unverwechselbaren Liardon-Stil.

Denkt sie daran, Material auf mehrere zu verteilen und miteinander zu verweben? Denkt sie an andere Tänzer ? « Nein, ich habe noch Angst. Professionnelle Tänzer haben Erwartungen, wie Proben vorankommen

sollten. Ich arbeite derzeit sehr langsam. Das wäre auch ein organisatorischer Druck. Und in dieser Phase, wo ich thematisch sehr intime Inhalte abtaste, bräuchte ich sehr vertraute Tänzer. »

Hat sie für den Start als Choreograph eine gute Piste? « Nur hier in Genf konnte mir der Start gelingen. Die Dichte der Tanzschaffenden- und veranstalter, die sich hier begegnen, ist sehr förderlich. Die Ermutigung, die Subventionen und kostenlose Proberäume, nur hier konnte ich durchstarten. In Paris oder Schweden hätte ich bereits Studios anmieten müssen. »

Hat sie von einer – zwar sehr kurzen – Weiterbildungsmöglichkeit für aufstrebende Choreographen in der Schweiz gehört ? « In Zürich ? Nein. Das wäre aber eine Chance, mich zu entwickeln und neue Bahnen zu eruieren, neue Dyanmiken auszuprobieren. Ich hatte bislang noch nicht die Gelegenheit, an sowas zu denken. Bislang hatte ich auch noch nicht viel mit der Presse zu schaffen. Erst die Auswahl für die Zeitgenössischen Schweizer Tanztage verhalf mir zu Gastspielen und im Anschluss zu den für Subvention und Promotion so begehrten Presseberichten. »

Bis die Rückenprobleme, die die anspruchsvolle Profitänzerin in die Knie zwangen und feste Verträge vereiteln, auch ihre Eine-Frau-Shows verhindern werden, sollte sie ihre Sprache gefunden haben, die andere für sie sprechen werden. Tanzend.

Freitag, 16. Oktober 2009

Heinz Spoerli und der Kritikerpreis


erschienen in Ensuite Nr. 82 S. 22f:

Der Platz des Tanzes in den Medien soll hier beleuchtet werden. Eine Schlüsselfigur des Schweizer Tanzes nahm sich dieses Thema zu Herzen : Heinz Spoerli.

KS: Herr Spoerli, als Ballettdirektor des Züricher Opernhauses haben Sie gleich zwei renommierte Preise dieses Jahr erhalten, den deutschen Tanzpreis und mit acht Künstlern anderer Sparten den Kritikerpreis. Ihrer Companie und der Tanzsparte an Ihrem Haus geht es blendend. Dennoch sind Ihre Abschlussworte der letzten Dankesrede an eine medienübersäte Hörerschaft eindringlich : « bitte halten Sie dem Tanz - ob modern, klassisch oder Tanztheater - die Treue, denn er hat es dringend nötig. » Was meinten Sie damit ?

HS : Lassen Sie mich erst generell, dann tanzspezifisch antworten.

Die Presse unterschätzt generell die Kultur. Nicht erst in der Krisenzeit. Dabei lesen die Menschen, wenn sie die Zeitung in die Hand nehmen, zuerst einmal den Feuilleton und Sportteil. Dann erst Wirtschaft und Politik. Sie wollen durchaus kulturell informiert sein und sich eine Meinung bilden können. Wenn die Presse am Feuilleton spart, macht sie einen grossen Fehler.

Was den Tanz betrifft ist die Meinungsbildung in den letzten 50 Jahren beschwerlicher geworden. Früher gab es nur das Ballett und den modernen Tanz, was zur Kunst zählte. Seitdem entstanden viele neue Arten wie der postmoderne Tanz, aber auch Breakdance, und es mischten sich Formen wie beim Tanztheater oder der heutigen Performancekunst. Unlängst wurde gar der asiatische Kampfsport der Shaolin-Mönche vom Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui eingebaut.

KS : Ist das ein Nachteil ?

HS : Für die Berichterstattung schon. Die Diversifikation erfordert einen Überblick, will man fundierte Meinungsbildung. Einen Überblick in der zeitlichen Spanne, in der Entwicklung des Tanzes, aber auch in der Breite. Welcher Kritiker hat diesen heute noch ?

KS : Warum ? Konnten sich die Kritiker nicht mitentwickeln ?

HS : Zum einen ist die gegründete Presseschule sehr jung. Und Tanzkritik ist auch kein Metier mehr. Die letzten der Zunft haben ihre Posten geräumt. Der legendäre Jochen Schmitt der FAZ (Frankfurter Allgemeinen Zeitung) wurde vor über 10 Jahren gekündigt, Lilo Weber verlor ihre frühere Stellung bei der NZZ. Es gibt keine fest angestellten Tanzkritiker mehr in der Schweiz. Früher hatte ein Kulturjournalist ein Ressort, heute bis zu drei, vier. Zum anderen sind es junge Berufsanfänger, die auf dem Feld des Tanzes die journalistische Feder spitzen. Da ist Spezialisierung und Erfahrung ein Fremdwort. Zum dritten fehlt der Weitblick wegen der lokalen Enge : Die Zeitungen zahlen keine Reisen mehr. Jochen Schmidt hatte noch ein eigenes Reisebudget.

Dagegen ist die Tanzkunst sehr mobil. Zumal sie keine Sprachbarrieren kennt. Sie holt sich die Inspiration für ihr Schaffen weltweit. Als ich in Montreal tanzte, ging ich mir alle wichtigen Choreographen in New York anschauen. Das war sehr wichtig. Der Tanz saugt die Einflüsse in Windeseile auf. Die Presse hinkt da hinterher.

KS : Der gesamte Kritikerberuf fühlt sich wie eine aussterbende Spezies, meinte der deutsche Kritikerverband…

HS : Ja, aber auch ganze Sparten sind gefährdet. Wenn ein Haus eine Sparte wegspart, schneidet es sich in das eigene Fleisch. Das Theater braucht ein vielfältiges Publikum. Wenn es mit der Schliessung ein interessiertes Publikum verliert, verliert es mit diesem auch potentielle Besucher der anderen Sparten, ihre Vielfalt und schlicht Attraktivität.

KS : Und was erwarten Sie von einer Tanzkritik mit Qualität ?

HS : Ich habe keine Probleme mit den Kritiken. Wenn sie schlecht ausfallen, sollten sie dies nur gut begründen. Für meine Tänzer aber wünsche ich, dass ihre Leistung gewürdigt wird. Nicht nur das Stück sollte besprochen werden, auch die Interpretation. Das ist insbesondere für die Entwicklung der Tänzer wichtig.

KS : Ihre kurze Dankesrede wurde nie gehalten. Sie schickten sie mit der darin enthaltenen Bitte um Treue an Pro Helvetia, Ihren Hauptsponsor UBS und Davidoff, sowie an manche Kritiker…

HS : Nachdem acht Preisgekrönte fast drei Stunden redeten, unterliess ich sie.

KS : Und mit Ihnen schwieg der Tanz.

Fortsetzung der Anaylse der Präsenz des Tanzes in den Medien in: "Über den Tanz"

Sonntag, 4. Oktober 2009

Spoerlis Schwanensee


Schweizer Fernsehen am 7. Okt. 2009

Das Schweizer Fernsehen honoriert die Qualität, die am Züricher Opernhaus geboten wird. Live wird Heinz Spoerlis Version vom Tschaikowski-Klassiker von HD-suisse übertragen. Wer also HD-suisse in seinem Kabelangebot hat, der geniesse die Präzision der kleinen, der grossen sowie der einzigartigen Odile/Odette-Schwäne (Jungstar Polina Semionova) in Hochauflösung.

Die in Zusammenarbeit mit Arte erfolgende Aufzeichnung wird alsbald auch eine DVD zeitigen…

SF HD-suisse 7. Okt. 2009 18.55 Uhr

Freitag, 2. Oktober 2009

Sasha Waltz im Museum


Bevor demnächst Nofrete die während 10 Jahre wiederhergestellten Museumsräume für Vor- und Frühgeschichte auf der Museumsinsel ‘einweiht’ , standen sie erst einmal leer.

Der Mann von der Strasse durfte sich im März 2009 drei Tage umschauen : was konnte an Fresken und 250 000 Mosaiksteinchen, die im Krieg schwer beschädigt wurden, erhalten und was mit moderner Architektur des englischen Architekten David Chipperfield akzentuiert werden ?

Dann kam Sasha Waltz mit ihrer Companie Sasha Waltz & Guests zum Zug : sie durfte den beeindruckenden Hallen Leben einhauchen. 70 Musiker und Tänzer gewinnen den alten Steinen raunendes Echo und Respekt ab. In ägyptisch-inspirierten Kostümen begehen die Tänzer Geländer und Wände. Sie kontrastieren statisch wirkende Relief-Posen mit tief unter den Gewändern entfachten Schwüngen.

« Das Ergebnis ist ein Gesamtkunstwerk », schwärmt ein Betrachter. Mary Wigman, Liebhaberin von antiken Themen und Mystik, welche mit ihren Bewegungschören Sasha Waltz künstlerisch Pate stand, hätte ihre wahre Freude daran gehabt.

Erst kürzlich, im April 2009, wurde Sasha Waltz mit einer der wichtigsten kulturellen Auszeichnungen Frankreichs, dem Titel "Officier dans l'Ordre des Arts et des Lettres", für ihr choreographisches Werk geehrt.

Arte, 19. Oktober 2009 um 22.35 Uhr

"Dialoge 09 - Neues Museum", Deutschland 2009, ZDF, Erstausstrahlung

Musik: Vocalconsort Berlin, Choreographie: Sasha Waltz, Fernsehregie: Jörg Jeshel, Orchester: Solistenensemble Kaleidoskop

Mit: Sasha Waltz & Guests

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Oktober 2009

erschienen in Ensuite Nr. 82 S. 25 :

Packendes in Basel

Johan Inger leitete fünf Jahre das weltberühmte Cullberg-Ballet in Stockholm. Die Inspiration zu der schweizer Uraufführung seines Stückes Empty House reicht aber noch zurück inseine Tanzzeit bei Jiri Kylian. Als dieser die Companie verliess, hinterblieb eine grosse Einsamkeit. ‘Wie in einer bevölkerten U-Bahnstation, wo keiner auf den anderen trifft.’

Neben der Wiederaufnahme des pulsierenden Erfolgsstückes Bolero vom Ballettdirektor des Hauses gibt es zeitgenössischen Tanz vom israelischen Choreographen Rami Be’er, Leiter der Kibbutz Contemporary Dance Company.

Ein insgesamt sicher packender Abend!

‘Crescendi’, Ort : Theater Basel , Theaterplatz Basel
, Tel. 061 295 11 33

Datum : 11.Okt 19Uhr, 13.,14.,17.,20.,22. Okt. 20:00 Uhr , 25. Okt. 19 Uhr

Festival Tanz In.Bern

Gleich mit einem Paukenschlag setzt die zweite Ausgabe des Festival-Nachfahren der Berner Tanztage an : mit der kraftvollen schrägen Companie Ultima Vez von Wim Vandekeybus. Es finden sich im qualitativ sehr gemischten Programm niveauvoll Unterhaltsames des diesjährigen Schweizer Tanz- und Choreographiepreisträgers Zimmermann & De Perrot und niveauvoll Verstörendes der mit dem Bessie Award versehenen Yasmeen Godder. Niveauvolles Ballett steuert das Stadttheater Bern selbst bei : mit Romeo & Julia.

Festivalbegleitend läuft ein Film von Steven Cohen : ein aus einem Kronleuchter umfunktioniertes Tutu betritt eine afrikanische Slumsiedlung…

Ort : Dampfzentrale Bern Marzilistr. 47 Bern
Tel.031 310 05 40

Datum: 15.-31. Oktober

Hommages in Zürich

Keine schlechte Idee: man wähle vier Tänzer, die jedem sofort einfallen (Pina Bausch, Merce Cunningham, Michael Jackson, und die etwas entferntere Josephine Baker) und konfrontiere heutige Choreographen mit ihrem Gewicht.. Dem postmodern-verspielten Foofwa d’Immobilité fällt vorallem ein Wortspiel ein: “Pina Jackson in Mercemoriam". Der Choreograph vermag aufgrund seiner Technik die jeweiligen Stilrichtungen durchaus zu absorbieren. Wann er sich mal künstlerisch ernsthaft an den Vorbildern misst, wird sich zeigen. Zwei Tanz-Performance-Stücke sind mit von der Partie: eines von Angelika Ächter (Alice meets Pina) sowie ein von Mark Tompkins 1996 zu Ehren von Josephine Baker entstandenes Stück.

Hommages. Ort: Tanzhaus Zürich Wasserwerkstrasse 129 Tel. 044 350 26 11

Datum: 15. Okt. 20:00

Anna Huber im Theaterhaus Gessnerallee

Diesjahr präsentiert sich Anna Huber mit Eine Frage der Zeit. Dem Schweizer Publikum schon seit langem durch ihre forschenden Bewegungen bekannt wird Anna Huber auch hier der Zeit nicht gerade davonrennen.

Ort: Gessnerallee 8, Zürich Tel. 044 225 81 10

Datum: 23.,24. Oktober 20 Uhr

Über den Tanz

erschienen in ensuite Nr. 81,
sowie in Wolfgang Lamprecht (Hg.) Weissbuch Kulturjournalismus, Löcker Verlag, 2011, S. 496-502.


Heinz Spoerli zum Kritikerpreis und über Medien
Der Platz des Tanzes in den Medien soll hier beleuchtet werden. Eine Schlüsselfigur des Schweizer Tanzes nahm sich dieses Thema zu Herzen : Heinz Spoerli.
KS : Herr Spoerli, als Ballettdirektor des Züricher Opernhauses haben Sie gleich zwei renommierte Preise dieses Jahr erhalten, den deutschen Tanzpreis und mit acht Künstlern anderer Sparten den Kritikerpreis. Ihrer Companie und der Tanzsparte an Ihrem Haus geht es blendend. Dennoch sind Ihre Abschlussworte der letzten Dankesrede an eine medienübersäte Hörerschaft eindringlich : « bitte halten Sie dem Tanz - ob modern, klassisch oder Tanztheater - die Treue, denn er hat es dringend nötig. » Was meinten Sie damit ?
HS : Lassen Sie mich erst generell, dann tanzspezifisch antworten.
Die Presse unterschätzt generell die Kultur. Nicht erst in der Krisenzeit. Dabei lesen die Menschen, wenn sie die Zeitung in die Hand nehmen, zuerst einmal das Feuilleton und Sportteil. Dann erst Wirtschaft und Politik. Sie wollen durchaus kulturell informiert sein und sich eine Meinung bilden können. Wenn die Presse am Feuilleton spart, macht sie einen grossen Fehler.
Was den Tanz betrifft ist die Meinungsbildung in den letzten 50 Jahren beschwerlicher geworden. Früher gab es nur das Ballett und den modernen Tanz, was zur Kunst zählte. Seitdem entstanden viele neue Arten wie der postmoderne Tanz, aber auch Breakdance, und es mischten sich Formen wie beim Tanztheater oder der heutigen Performancekunst. Unlängst wurde gar der asiatische Kampfsport der Shaolin-Mönche vom Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui eingebaut.
KS : Ist das ein Nachteil ?
HS : Für die Berichterstattung schon. Die Diversifikation erfordert einen Überblick, will man fundierte Meinungsbildung. Einen Überblick in der zeitlichen Spanne, in der Entwicklung des Tanzes, aber auch in der Breite. Welcher Kritiker hat diesen heute noch ?
KS : Warum ? Konnten sich die Kritiker nicht mitentwickeln ?
HS : Zum einen ist die gegründete Presseschule sehr jung. Und Tanzkritik ist auch kein Metier mehr. Die letzten der Zunft haben ihre Posten geräumt. Der legendäre Jochen Schmitt der FAZ (Frankfurter Allgemeinen Zeitung) wurde vor über 10 Jahren gekündigt, Lilo Weber verlor ihre frühere Stellung bei der NZZ. Es gibt keine fest angestellten Tanzkritiker mehr in der Schweiz. Früher hatte ein Kulturjournalist ein Ressort, heute bis zu drei, vier. Zum anderen sind es junge Berufsanfänger, die auf dem Feld des Tanzes die journalistische Feder spitzen. Da ist Spezialisierung und Erfahrung ein Fremdwort. Zum dritten fehlt der Weitblick wegen der lokalen Enge : Die Zeitungen zahlen keine Reisen mehr. Jochen Schmidt hatte noch ein eigenes Reisebudget.
Dagegen ist die Tanzkunst sehr mobil. Zumal sie keine Sprachbarrieren kennt. Sie holt sich die Inspiration für ihr Schaffen weltweit. Als ich in Montreal tanzte, ging ich mir alle wichtigen Choreographen in New York anschauen. Das war sehr wichtig. Der Tanz saugt die Einflüsse in Windeseile auf. Die Presse hinkt da hinterher.
KS: Der gesamte Kritikerberuf fühlt sich wie eine aussterbende Spezies, meinte der deutsche Kritikerverband…
HS : Ja, aber auch ganze Sparten sind gefährdet. Wenn ein Haus eine Sparte wegspart, schneidet es sich in das eigene Fleisch. Das Theater braucht ein vielfältiges Publikum. Wenn es mit der Schliessung ein interessiertes Publikum verliert, verliert es mit diesem auch potentielle Besucher der anderen Sparten, ihre Vielfalt und schlicht Attraktivität.
KS : Und was erwarten Sie von einer Tanzkritik mit Qualität ?
HS : Ich habe keine Probleme mit den Kritiken. Wenn sie schlecht ausfallen, sollten sie dies nur gut begründen. Für meine Tänzer aber wünsche ich, dass ihre Leistung gewürdigt wird. Nicht nur das Stück sollte besprochen werden, auch die Interpretation. Das ist insbesondere für die Entwicklung der Tänzer wichtig.
KS : Ihre kurze Dankesrede wurde nie gehalten. Sie schickten sie mit der darin enthaltenen Bitte um Treue an Pro Helvetia, Ihren Hauptsponsor UBS und Davidoff, sowie an manche Kritiker…
HS : Nachdem acht Preisgekrönte fast drei Stunden redeten, unterliess ich sie.
KS : Und mit Ihnen schwieg der Tanz.
Aufgabe von Kritiken
Während vor fünf Jahren den Saisonauftakt des Züricher Balletts noch 12 verschiedene Kritiker im deutschsprachigen Raum kommentierten, waren es dieses Jahr nurmehr 7. Eine Rezension davon wurde zumindest auf der online-Seite gleich von fünf Blättern übernommen (diejenige des Tagesanzeigers vom Berner Oberländer, Berner Zeitung, Thuner Tagblatt, Thurgauer Zeitung und, klar, vom Züritipp).
Die Einsparungen, Fusionen und Schliessungen von Tageszeitungen können den Erfolgreichsten nicht viel anhaben. Die kleinen Kreativen aber darben. Sie haben die Kritiken als Referenz nötig, wenn sie ihre Projekte bei Finanzierungsgesuchen einreichen. Man würde meinen, auch Geldgeber und die öffentliche Hand müssten an solchen Evaluierungen interessiert sein. Auf gewichtigeren Gebieten werden unabhängige Fachleute mit Gutachten beauftragt, bevor Gelder für Projekte locker gemacht werden. Ihre Honorare sind majestätisch. Die von freien Zeitungsmitarbeitern für eine Kritik 140 CHF[1].
Bewertung zu leisten ist also eine Aufgabe von Kritiken. Vorallem aber sollen Kritiken laut einer Umfrage unter Lesern informieren.[2] Und zwar deskriptiv, plastisch und nachvollziehbar. Die Interpretation, in der so manche schwelgen, oder Erklärungen mögen daraus hervorgehen, seien aber zweitrangig. Dass diese Kritik an die Kritiker heute so deutlich formuliert wird, beweise laut Autor der Umfrage : die Mehrzahl der Kritiker gebärdet sich in den Texten eitel, überheblich aus einer auktorialen Haltung heraus, befangen in einer Jahrhunderte alten Tradition von Theaterkritik. Angesichts der miesen Note, die die Leser dieser Berichtsform erteilen ist da das Aussterben keine Erlösung ? Nein, ergibt die Untersuchung. 72% wollen nicht weniger und 23 % gar mehr.[3]
Der Autor Vasco Boenisch rät in seiner Analyse zur qualitativen Umkehr, zu der Hinkehr zur Dienstleistung für den Leser als mündigen Kunden : « Der Kunde will, (..) zunächst einmal informiert werden, umfassend informiert werden ; er will etwas an der Hand genommen und nicht vor den Kopf gestossen werden, er will nachvollziehen können statt staunen müssen ; er will vom Kritiker lernen, nicht ihn anbeten ; er will ein Bild, keinen Stempel. »
Plastische Beschreibung, Erklärung und schlüssige Wertung sind demnach die Hauptpfeiler einer fundierten Kritik.
Ferner erwarten die Verbraucher auch das Einbetten eines Stückes, seines Schöpfers und der Interpretation in die Theaterlandschaft und einer etwaigen Tradition. Wie sollen sie sonst die Relevanz der Kritik einordnen ? Es steht nicht wenig auf dem Spiel : unsere beschränkte Speicherkraft und das Budget : « Lohnt es sich den Namen zu merken ? Will ich das nächste Mal ein Stück der Companie, des Schöpfers sehen? »
So gewachsene Entscheidungen generieren ein mündigeres Publikum, das weniger frustiert ist von bösen Überraschungen.
Doch werden Journalisten unter vermehrtem Zeitdruck und ohne Reisebudget diesen Service uns leisten ? Der genannte Forscher schmunzelt über Fälle « rührender Selbstausbeutung »[4].
Andere Textformen über den Tanz : Fast Food
Ganz im Trend des leichteren Konsums hat mancheine Zeitung ihren Verzehr mit 20 Minuten angepriesen. Zeitungen im allgemeinen bieten ein abwechslungsreiches Menu auf ihrer Kulturkarte. Events sind zweifellos das Hauptgericht, im Feuilleton mit Empfehlung gar des Chefkochs serviert. Porträts, Interviews und Vorberichte sind ‘in’, weil leicht bekömmlich. Schwerer im Magen liegen da schon die Kritiken. Warum ?
Ein bekannter amerikanischer Tanzkritiker, Edwin Denby, beschrieb es so : « Dance criticism has two different aspects, one is being made drunk for a second by seeing something happen ; the other is expressing lucidly what you saw when you were drunk » (Tanzkritik hat zwei unterschiedliche Aspekte, einer ist für einen Augenblick an dem Geschehen, das man sieht, betrunken zu werden ; der zweite ist, glasklar auszudrücken, was Du sahst, als du betrunken warst.)
Warum nicht den Leser in diesen Dunst & Durchblick einbeziehen ? Der Leser sollte auch benommen sein von der Atmosphäre im verspielt anschaulichen Text. Dann soll der Leser durch die Federführung nüchtern nachvollziehen können, wie diese Wirkung des Stückes zustande kam. Diese widersprüchliche Aufgabe macht das Gericht bei der Herstellung zum Slow-Food. Die feine Zubereitung (« gut geschrieben ») sollte den Geniesser das nicht merken lassen. Doch die Dichte des Geschmacks und hoffentlich des Gehalts bleibt beim unangemessenen Verschlingen halt im Halse stecken…
Ein Leckerbissen
Manche Haute Cuisine erhält ihre fünf Sterne. Letztes Jahr ging der Schweizer Greulich-Kulturpreis, der herausragende Leistungen im Kulturjournalismus würdigt, an jemanden, der das richtige Rezept für den Tanz hat: « Mit ihrer Entscheidung für Alexandre Demidoff würdigt die Jury dessen beständiges Engagement für eine moderne Vision von Ballett und Tanz und zugleich die stilistische Brillanz des Kritikers von Le Temps », heisst es auf der Homepage der Stiftung.
Drei Zeitschriften in neun Jahren verschwunden
Wenn Kulturredaktionen – nicht nur sie - zurückgestutzt werden, das Feuilleton sich lichtet, Kulturbeilagen Federn lassen und sich zu Lifestyle-Magazine mausern wie beim NZZ, wer könnte da gegensteuern ?
Sollte die Tanzzunft eine eigene Zucht hervorbringen, um in den Printmedien präsent zu sein? Viele Engagierte waren dieser Meinung und gründeten aus Privatinitiativen heraus Fachblätter. Das österreichische Tanz Affiche entstand so, auch sein schweizer Pendant Tanz der Dinge von Wolfgang Brunner. Doch wenn der Herausgeber verscheidet, nimmt er ein Stück Kulturgut mit sich (Einstellung 2006). Da würden Tanzblätter in Form von Verbandszeitschriften Menschenleben überdauern, würde man meinen. Und wenn Verbände fusionieren, können sie gar gestärkt hervorgehen, wie man Ende 2007 den jeweiligen Mitgliedern des Verbands der Lehrenden[5] und denen der künstlerisch Schaffenden[6] verkündete. Doch das Gegenteil war der Fall. Das Sprachrohr der Tanzschaffenden der Schweiz Tanz la danse Suisse ging bereits im Juni 2000 ein, das Verbandsorgan Tanz & Gymnastik des Lehrerverbands 2007 bei der Vereinigung.
Die papierne Materialisierung von Tanzbesprechungen stand aber noch lange auf der Tagesordnung des vereinigten Tanzdachverbands. Verhandlungen und Finanzierungspläne folgten. Aber keine Zeitschrift.
« Das Ableben der schweizer Tanzfachzeitschriften muss man in der globalen Dürre der Presselandschaft eingebettet sehen », meint die Tanzwissenschafterin und ehemalige Festival-Coleiterin der Berner Tanztage Claudia Rosiny. « Schon seit langem lieferte uns der Medienprofessor R. Blum der Universität Bern die Analyse : der schweize Markt ist schlicht zu klein. Wir müssen nach Alternativen sinnen. » Na, dann liegt Dansesuisse ja goldrichtig, indem sie 2000 online ging. Ähnlich wie bei der grossen Schwester tanznetz.de sind hier Biographien, Auszeichnungen, Hintergrundsinformation und Ankündigungen abrufbar. Verpassen Sie vor allem ihren Veranstaltungskalender nicht ! Doch wo sind die Kritiken, die bis 2005 geschrieben und bis 2008 einsehbar waren ? « Zu unseren Mitgliedern gehören Choreographen und Interpreten. Es gibt einen Interessenkonflikt, wenn nicht alle und nicht alle gleich gut besprochen werden » resümiert Gianni Malfer, Verwalter von DanseSuisse, das Problem.
Das ist aber ein Dolchstoss. Denn schon vor der ‘Bereinigung’ dieser ungemütlichen Kritiken förderte der von Regierung wie Betroffenen ausgeklügelte ProjektTanz[7] bei seiner Aufbahrung vor der Presse den Notstand zu Tage : « Die Berichterstattung über Tanz in den Schweizer Medien nimmt ab. Die verschiedenen Sparrunden bei Tageszeitungen in den letzten Jahren liessen auch die Kritiken und Texte über Tanz weniger werden. Dabei hat gerade diese Kunstsparte grossen Nachholbedarf an Vermittlung und Reflexion in den Medien. »
Im Zuge dieser Vivisektion der Tanzsparte entstand das Netzwerk RESO, das dem auf Herz und Nieren geprüften Patienten postoperatives Leben einhauchen soll. Es wacht über das reibungslose Zusammenspiel seiner Organe (und der Organspender Bund, Kantone und Städte) [8]. Es wird wohl seine Gedanken machen müssen angesichts des diagnostizierten Nachholbedarfs in den Medien. Doch seine Strategie ist bislang nur punktuell : am Tag des Tanzes inszeniert es ein Spektakel, das bunt und breit ist wie die Schweiz, ein Event und willkommenes Futter für die Medien.[9] Dabei weiss RESO es besser. In seiner Bibel zur Kulturvermittlung leuchtet durchaus das Gebot gegen den Götzendienst: Um neben der Entertainmentindustrie mit einem stetig wachsenden (Über-)angebot bestehen zu können, ist es zur Notwendigkeit geworden zu vermitteln, worin die besonderen Werte der Kunst für den Einzelnen und die Gesellschaft bestehen.”
Welches darf das bevorzugte Medium der Vermittlung dieser frohen Botschaft sein?
Über Schweizer Tanz im Ausland
Zur Bestattung der letzten Zeitschrift Tanz & Gymnastik, durfte der Tanzverantwortliche von Pro Helvetia sein Credo (oder Beileid ?) im letzten Heft abdrucken: « Der Schweizer Tanz braucht eine qualitativ hochstehende Tanzzeitschrift. Diese würde die Anerkennung des Tanzes fördern und wertvolle Vermittlungsarbeit leisten. » Er muss es wissen, denn Pro Helvetia ist der kompetente Fürsprecher für den Schweizer Tanz im Ausland. Diese wertvolle Vermittlungsarbeit fehlt und es fehlen auch die Mittel. So spricht Pro Helvetia von zwerghaften Subventionsmittel im Vergleich zu denen der Giganten [10] unseres Globus. Da wird gern etwas Kleines aus der Tasche der Kulturbotschafter gezaubert : das neue Promotions-Medium ist eine DVD. Sie heisst Swiss Dance Selection und stellt regelmässig die Tänze der letzten zwei Jahre auf einen virtuellen Laufsteg, welche die hiesigen Tanzdesigner entworfen haben. In vier Kategorien präsentieren sich namhafte Haute Couture und avantgardistische Newcomer. Auf diesem flimmernden Medium wird Schweizer Tanz von Pro Helvetia gebrauchsfertig durchgestuft : medium scale, 10m x 12 m etc.[11]
Sprachlose und flüchtige Kunst
Ob über sie ein Wort verloren wird oder nicht, das schert die lebenslustige Terpsichore wenig. Sie wird weiter frohlockend ihre flüchtigen Kreise ziehen. Und wen störte es, wenn sie keine Spuren hinterliesse ?
Nun, die frisch etablierte schweizer Tanzwissenschaft. Sie muss verflossenem Tanz nachspüren und seiner habhaft werden können. Und zweitens die Archive, die das kulturelle Gedächtnis der Nation sind. Die Theatersammlung in Bern zeichnet so seit den 80ern die in der Schweiz empfangbaren TV-Tanzsendungen auf. ( « Mit Lücken, denn wer von uns hat Zeit, alle Programme durchzuschauen.. ? » meint der Leiter der Dokumentation), die Mediathek Lausanne seit 1993. Die unbekannteren Companien, die Fernsehkameras nicht kennen, werden von der bald öffentlich zugänglichen Mediathek in Zürich ermuntert, sich selbst zu dokumentieren. Der professionnelle Rat dazu wird erteilt. Bislang ist der Bestand der Mediathek noch nicht katalogisiert. Bei der Finanzierung aus Privat- und Stiftungsgeldern war das bislang nicht drin. Die nationale Tragweite der Mission wird der Bund wohl erst 2013 schultern. Ab da sind beide Mediathek-Standorte Lausanne und Zürich einheitlich katalogisiert und die Titel in das universitäre Online-Bibliothekssystem IDS [12] laut Plan eingespeist.
Medium TV
Und was, wenn sich die flüchtige Kunst mit der Kamera einfangen und dem ihm entsprechendsten Medium, dem bewegten Bild des Fernsehens zuführen liesse ? Wenden wir uns der Fernsehanstalt zu, die Kunst in ihrem Namen trägt. Arte hat tatsächlich (in Zusammenarbeit mit NBS und BBC) dem Tanz viele Jahre lang die beste Sendezeit eingeräumt : Sonntags 20.15 Uhr. Man mag zwar von gewissen ästhetisierenden Akzenten halten was man will, wo der Zoom auf dem Glanz schweissgebadeter Haut und schwingendem lichtdurchfluteten Haar war, doch dem Zuschauer wurde ein Riesendienst erwiesen. Eine äusserst grosse Spannbreite, thematisch originell gruppiert, wurde überschaubar (25 Minuten) und vor allem : zuverlässig zur selben Zeit serviert. Seit 2007 ist damit Schluss. Am Geld liege es nicht, meint der stellvertretende Redaktionsleiter Musik/Theater/Tanz bei Arte. Das sinnvolle massgeschneiderte Portionieren fällt da eher ins Gewicht. Seit NBS und BBC ihre Reihe einstellte, stellte sich Arte um : punktuelle Events wie Festivals seien gefragter, heisst es. So vergehen manche Monate ohne ein für Arte sendewürdiges Tanz-Highlight.
Statistiken über Tanz
Zwanzig Jahre lang war das gesamtschweizerische Kulturverhalten ein blinder Fleck im Spielraum von kulturpolitischen Verhandlungen : es war vom Bundesamt für Statistik nicht erfasst und so zahlenmässig nicht belegbar. In diesem Sommer legte es Daten zum Kulturverhalten der Schweizer Bürger vor. Und siehe da, sie speisen unsere Argumente mit Zahlen !
Die Häufigkeit eines Besuchs von Tanz liegt im Vergleich zu dem von (auch Pop-) Konzerten, Kino und historischen Stätten, Museen, Theater und Bibliotheken (in dieser Reihenfolge) an letzter Stelle.[13] (Jeder fünfte schaut sich von Zeit zu Zeit Tanz an). Sobald es aber um die Frage geht, welche Aktivität die Bürger öfters ausüben möchten, steht Tanz- und Theaterbesuch weit oben, nämlich an zweiter Stelle. [14]Fast jeder zweite möchte mehr. Da fragt es sich, was ihn denn hindert. Bei allen Hindernisgründen schwimmt Tanz & Theater unauffällig im Mittelfeld, beim Hindernisgrund ‘Infrastruktur und Logistik’ prescht es aber hervor. [15] Die Aufschlüsselung der Antworten auf die halb-offengestellten Fragen ist nicht ganz einfach, da Mehrfachnennung möglich war. Auffällig ist allerdings, dass diejenigen, die sich die Mühe gaben, mehrere Gründe anzugeben, zunehmend den Bereich Information(smangel)/Angebot hervorhoben. Andersherum gesagt : fast die Hälfte speist den Frager schnell mit « keine Zeit » (für die Realisierung meines Wunsches nach mehr Tanz & Theater) ab. Doch wenn Befragte ‘in die Tiefe gehen’, ist schon fast jeder dritte mit dem Angebot oder der Information unzufrieden.
Und hier könnte man ansetzen. Informieren, das Angebot evaluieren, gegebenfalls empfehlen und Lust machen - waren das nicht die Aspekte der Tanz-und Theaterkritik ?


[1] Betrag variiert je nach Region
[2] Vasco Boenisch Was soll Theaterkritik ?, Dissertationsarbeit, Bochum 2008
[3] Zu beachten ist, dass die Befragten Theatergänger sind.
[4] ebd. S. 152
[5] SBTG Schweizer Berufsverband für Tanz und Gymnastik
[6] SDT schweizerischer Dachverband der Fachkräfte des künstlerischen Tanzes
[7] Projekt Tanz, Abschlussbericht 2006, S. 31
[8] RESO selbst wird finanziert durch : Bundesamt für Kultur CHF 200’000, Pro Helvetia CHF 200’000, Konferenz der kantonalen Kulturbeauftragten CHF 60’000, Konferenz der Schweizer Städte für Kulturfragen CHF 60’000. Laut Geschäftsleitung ist diese Summe auf 3 Jahre verteilt.
[9] vgl. Jahresbericht 2007 und 2008 jeweils unter Kommunikation : « um die Wahrnehmbarkeit des Tanzes in der Bevölkerung zu verbessern »
[10] S. 6 Jahresbericht Pro Helvetia Pro Helvetia- beweglicher als die Konkurrenz
[11] im Überblick abzurufen unter www.prohelvetia.ch/compass
[12] Informationsverbund Deutschschweiz
[13] Kulturverhalten in der Schweizer. Erhebung 2008, Bundesamt für Statistik, Tabelle G1
[14] ebd. Tabelle G7
[15] ebd. Tabelle G8