erschienen in Ensuite Nr. 82 S. 22f:
Der Platz des Tanzes in den Medien soll hier beleuchtet werden. Eine Schlüsselfigur des Schweizer Tanzes nahm sich dieses Thema zu Herzen : Heinz Spoerli.
KS: Herr Spoerli, als Ballettdirektor des Züricher Opernhauses haben Sie gleich zwei renommierte Preise dieses Jahr erhalten, den deutschen Tanzpreis und mit acht Künstlern anderer Sparten den Kritikerpreis. Ihrer Companie und der Tanzsparte an Ihrem Haus geht es blendend. Dennoch sind Ihre Abschlussworte der letzten Dankesrede an eine medienübersäte Hörerschaft eindringlich : « bitte halten Sie dem Tanz - ob modern, klassisch oder Tanztheater - die Treue, denn er hat es dringend nötig. » Was meinten Sie damit ?
HS : Lassen Sie mich erst generell, dann tanzspezifisch antworten.
Die Presse unterschätzt generell die Kultur. Nicht erst in der Krisenzeit. Dabei lesen die Menschen, wenn sie die Zeitung in die Hand nehmen, zuerst einmal den Feuilleton und Sportteil. Dann erst Wirtschaft und Politik. Sie wollen durchaus kulturell informiert sein und sich eine Meinung bilden können. Wenn die Presse am Feuilleton spart, macht sie einen grossen Fehler.
Was den Tanz betrifft ist die Meinungsbildung in den letzten 50 Jahren beschwerlicher geworden. Früher gab es nur das Ballett und den modernen Tanz, was zur Kunst zählte. Seitdem entstanden viele neue Arten wie der postmoderne Tanz, aber auch Breakdance, und es mischten sich Formen wie beim Tanztheater oder der heutigen Performancekunst. Unlängst wurde gar der asiatische Kampfsport der Shaolin-Mönche vom Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui eingebaut.
KS : Ist das ein Nachteil ?
HS : Für die Berichterstattung schon. Die Diversifikation erfordert einen Überblick, will man fundierte Meinungsbildung. Einen Überblick in der zeitlichen Spanne, in der Entwicklung des Tanzes, aber auch in der Breite. Welcher Kritiker hat diesen heute noch ?
KS : Warum ? Konnten sich die Kritiker nicht mitentwickeln ?
HS : Zum einen ist die gegründete Presseschule sehr jung. Und Tanzkritik ist auch kein Metier mehr. Die letzten der Zunft haben ihre Posten geräumt. Der legendäre Jochen Schmitt der FAZ (Frankfurter Allgemeinen Zeitung) wurde vor über 10 Jahren gekündigt, Lilo Weber verlor ihre frühere Stellung bei der NZZ. Es gibt keine fest angestellten Tanzkritiker mehr in der Schweiz. Früher hatte ein Kulturjournalist ein Ressort, heute bis zu drei, vier. Zum anderen sind es junge Berufsanfänger, die auf dem Feld des Tanzes die journalistische Feder spitzen. Da ist Spezialisierung und Erfahrung ein Fremdwort. Zum dritten fehlt der Weitblick wegen der lokalen Enge : Die Zeitungen zahlen keine Reisen mehr. Jochen Schmidt hatte noch ein eigenes Reisebudget.
Dagegen ist die Tanzkunst sehr mobil. Zumal sie keine Sprachbarrieren kennt. Sie holt sich die Inspiration für ihr Schaffen weltweit. Als ich in Montreal tanzte, ging ich mir alle wichtigen Choreographen in New York anschauen. Das war sehr wichtig. Der Tanz saugt die Einflüsse in Windeseile auf. Die Presse hinkt da hinterher.
KS : Der gesamte Kritikerberuf fühlt sich wie eine aussterbende Spezies, meinte der deutsche Kritikerverband…
HS : Ja, aber auch ganze Sparten sind gefährdet. Wenn ein Haus eine Sparte wegspart, schneidet es sich in das eigene Fleisch. Das Theater braucht ein vielfältiges Publikum. Wenn es mit der Schliessung ein interessiertes Publikum verliert, verliert es mit diesem auch potentielle Besucher der anderen Sparten, ihre Vielfalt und schlicht Attraktivität.
KS : Und was erwarten Sie von einer Tanzkritik mit Qualität ?
HS : Ich habe keine Probleme mit den Kritiken. Wenn sie schlecht ausfallen, sollten sie dies nur gut begründen. Für meine Tänzer aber wünsche ich, dass ihre Leistung gewürdigt wird. Nicht nur das Stück sollte besprochen werden, auch die Interpretation. Das ist insbesondere für die Entwicklung der Tänzer wichtig.
KS : Ihre kurze Dankesrede wurde nie gehalten. Sie schickten sie mit der darin enthaltenen Bitte um Treue an Pro Helvetia, Ihren Hauptsponsor UBS und Davidoff, sowie an manche Kritiker…
HS : Nachdem acht Preisgekrönte fast drei Stunden redeten, unterliess ich sie.
KS : Und mit Ihnen schwieg der Tanz.
Fortsetzung der Anaylse der Präsenz des Tanzes in den Medien in: "Über den Tanz"
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