Montag, 30. November 2009

Merce Cunningham


erschienen auf tanznetz.de am 29.11.2009:

Merce : Meister der Komposition von Form, Raum und Dynamik

Noch bevor die Merce-Cunningham-Dance-Company (MCDC) die kommenden zwei Jahre mit dem tänzerischen Nachlass auf Welttournee geht, konnte Genf sie zu ihrer umfassenden Merce-Präsentation einladen. Vom 26. bis 28. November war im Bâtiment des Forces Motrices CRWDSPCR, Second Hand und Squaregame zu sehen.

In CRWDSPCR (1993) sind zwölf Tänzer mit Bruchstücken aus Mondrians Gitterwerk auf dem Leib vor einem tiefen Blau. Wie sie die Quadratausschnitte zueinanderfügen ergibt jeweils das Bild. Ob disparat oder engverflochten, eines wird klar: der Meister der Komposition von Form, Raum und Dynamik ist hier am Werk.

Doch erst einmal zischt und knistert es aus allen Ecken. Noch scheint der Saal statisch geladen zu sein und beim ersten Kontakt funkt’s und rauscht‘s (Musik : John King, blues’ 99, live erzeugt vom John Cage-Nachfolger Takehisa Kosugi und Stephan Moore). Behutsam biegen sich darum die Tänzer in ihre symetriefähigen Posen. Ihr tiefer Ausfallschritt weit weg vom gestrecktbehaltenem Standbein ist nunmal nichts anderes als die Attituden des Nebenmanns im Stand. Nur eine Frage der Spiegelachse, vielleicht auch des 1993 erstmals angewandten Softwareprogramms Life-Form. Sei die Etüde rechter Winkel auch mit diagonalen Armen, den Winkelhalbierenden, durchsetzt, wir fühlen in diesem Adagio Mondrians Netz vor unseren Augen entstehen. Da fegt plötzlich eine kleine Person mit quirligen Drehungen über das Feld. Diesem Wirbelwind an Chaînées entreißt die Fliehkraft immer wieder in hohem Bogen ein gestrecktes Bein. Links marschiert tief in die Knie gesackt eine Truppe dicht an dicht auf uns zu. Vor der Rampe und dem Graben wendet sich ihr Schicksal, und die spitzen Knie im Tiefgang reißen die Truppe rechtzeitig um die Ecke. Knie als Wegweiser, Impulsgeber, Fokus? Diese Idee kommt nicht von Life-Forms. Humor ist so wenig die Gabe des Computers wie das Spiel mit der Dynamik. Es war Merce, der die Komponenten wählte, so kontrastiv wie nur möglich. Mag er die Reihenfolge oder Zusammensetzung dem Würfel oder Programm überlassen, sein Hang zum Zufall zeigt : ihm liegt an der Abwechslung.

Und diese kommt uns zugute. Das Publikum der ausverkauften Vorstellungen verfolgte gebannt die unentwegt wechselnden Form(ation)en. Ob paarweise, unbequem dicht und synchron, im Trio, Quartett oder Quintett, vervielfältigte Posen schärfen den Blick für die Form der Teile, und diese den Blick für die Geometrie des Ganzen. Genau da darf aus dem Gefüge einer seinen Kopf vogelhaft herumreissen und keck in den Zuschauerraum picken…

Second Hand entstand 1970, als John Cage Erik Saties Socrate bearbeiten wollte. Da er die Rechte dazu nicht erhielt, nutzte er nur die Struktur und Phrasierung des Originals und füllte sie mit zufallgenerierten Noten. Die so ausgewürfelte Tonfolge des Klavierstücks tröpfelt über lange (Durst-)strecken ohne ein Akkord vor sich hin. Einzig Merce setzt da bunte Farbtupfen und willkommene Dynamik entgegen. Nach seinen Worten sei dieses Werk das letzte, das auf eine Partitur horchte. Meinte er vielleicht seine ironischen Akzente, kleine brüske Wiederholungen des Tänzers, wenn die Musik nicht von der Stelle zu kommen scheint ? Oder wenn zuletzt die endlich volleren Klänge im Nachhall ihrer langen Pausen den Raum eröffnen für Merce’ Feuerwerk an Phrasen, welches die gesamte Gruppe vom linken Bühnenrand zum rechten peitscht, bevor der nächste heissersehnte Akkord den Richtungswechsel gibt, da capo… ?

Zwar sieht man Cunninghams abstrakte Vorliebe sich abzeichnen, wenn Rundungen und Wölbungen enge und weite Winkeln förmlich in Klammer setzen. Die zahlreichen balletthaften Phrasen dagegen wirken verstaubt. Ungeschickt, dem Publikum eine anachronistische Werksfolge zu präsentieren.

Das nur sechs Jahre hierauf entstandene Stück Squaregame dagegen wirkt noch ganz frisch. Inmitten eines weiten dunklen Umraums ist ein weisses Quadratfeld, das die Tänzer beisammenhält. Die Ecken sind mit prallen Plastikballen abgesteckt, hinter welchen sie hervorlugen. Bis sie ihre gewitzte Partie spielen. Auf denen sie auch mal loshüpfen, wenn sie am Zug sind. Ein Spiel, das alle Regeln gegeneinander ausspielt, das Überspringen, Verschanzen, Verketten bis schließlich das lustige MCDC-Pack sich türmt, beim letzten Musikakzent den geworfenen Ballen noch hoch über’m Kopf und - der Vorhang fällt.

Man wünscht der Company und dem preisgekrönten Choreographieassistenten Robert Swinston zur perfekten Belebung des Merce-Erbe noch eines hinzu: auf daß uns der innovative Geist von Merce erhalten bleibt !

Ventura Dance Company


erschienen auf tanznetz.de am 08.11.2009:

Tanz auf der Höhe der Technologie

Ventura Dance Company feiert seine Premiere mit “2047”

Das Tanzhaus Zürich bot am 6. November niveauvollen Tanz unter Einsatz von High-Tech.

Ein androides Wesen in anliegendem Weiß steht auf einer Leinwand. Wie auf einer Laufbahn, die sich von weit her aus dem Horizont unter ihre Füsse erstreckt. Sie ist eher eine Fahrbahn, denn ihre Linien, welche auf uns zuströmen, verbildlichen: die vertanzte Geschichte ist eine Reise. Eine Reise in der Zukunft. Die Science-Fiction-Episode aus dem preisgekrönten chinesischen Film “2046” mit der Reise aus einer Stadt aus dem All gab dem Tanzstück den Namen und dem Choreographen Pablo Ventura die Inspiration. Mit dieser Fahrt versucht ein Mensch, sich aus den Klauen seiner Vergangenheit zu entwinden, und die dabei behilflichen Hostessen sind – zeitlose Androiden. Der Flair beschleunigter Mobilität zwischen künftigen kosmopolitischen Städten hängt buchstäblich über dem Geschehen: Eine breite Videoprojektion schwebt über der Tanzszene, eine traumhafte Verfremdung einer Bahnreise aus der Metropole Singapur. Umrisse verschwimmen, Auflösung und Flächenstruktur wandeln sich wie unsere Farben im Traum. Fremd und berührend zugleich hebt das Video so angenehm ab von der scharfkonturierten retuschierten Ästhetik heutiger Werbespots.

Im eigenen Netz gefangen

Unter dem Videofilm schraubt und faltet sich nun das fremde androide Wesen. Die ruhigen senkrechten Linien, die bislang über Wand, Boden und das Wesen hinweghuschten, fangen an zu schwirren und reagieren wie ein Resonanzbecken. Zuckt der Android nur, erzittern sie in seinem Rhythmus, greift er weit in den Raum, dehnen sich die Parallelen wie breitgezupfte Saiten. Dann aber ergiesst sich eine Graphik wie eine Flutwelle über die abgebildete Kontur: In der Logik von Schwarmverhalten verdichten sich nervöse feine Querlinien, umschwirren sie die Kontur und rauschen von dannen. Daniel Bisig, Biologe und Programmierer hat die interaktive Software Swarm erstellt. Sie greift über Kameras die Parameter von Bewegungsdynamik und ihren Vektoren als auch den Konturen des Tänzerkörpers auf der Bühne heraus. Die Parameter evozieren ein Schwarmverhalten in der Graphik, welche im Stillstand nur die herablaufenden Linien bildet. Der Android steht so inmitten eines projezierten Netzes, das er sich selbst überwirft. Je agiler er wird, desto vertrackter spannt es sich um ihn. Darf ein technologisches Produkt wie dieser künstliche Mensch ungestraft nach Selbstbestimmung heischen?

Wie immer die Antwort ausfällt, der noch-echte Mensch der Zukunft, in Venturas Stück der Mann (der versierte Asiate Khai Vu), ist bereits durch Technologie infiziert. Seine Bewegungen gleichen denen der weiblichen Androiden. Ihre geschäftige Gelenkwinkelungen suggerieren Hyper-Funktionalität. Wie Scharniere öffnen und falten sich die Glieder an den überraschendsten Stellen der Gliedmassen und man ahnt, warum manch geneigter Kopf darob vergessen ward. Wohl schlicht, weil ihm keine Funktion zuteil ward. Doch mit dem Kopf und dem Blick geht ein Schlüssel verloren. Wie in Forsythes The Loss of a Small Detail ist der Fokus, der den Brennpunkt einer Bewegung extern festhält (im Klassischen oft in Verbindung mit dem Epaulement), den Androiden abhanden gekommen. Folglich absolvieren sie die unvollstellbarsten Verkettungen der Glieder– ohne einen Blick. Verloren und bezugslos läuft perfekte Mechanik ab wie ein Hohn auf die Verselbständigung purer Funktionalität.

Und was macht ein Mensch angesichts kühler Abläufe zu seinen Diensten? Wenn die Hostessen nach verquerten Sequenzen kopfüber einhalten, den Kopf begraben, und weitreichende Beine wie Antennen sondierend ausschwingen? Er schaut und greift ein. Doch seine Manoeuver erwirken keine emotionale Rückmeldung. Eben, keinen Paartanz.

Wer sich fragt, wie im zeitgenössischen Tanz mit seinen disparaten Blicken und geräuschhafter ‘Musik’ noch gestochenscharfe Gleichzeitigkeit erzielt werden kann, der wende sich an den Bewegungsprogrammierer, den Choreographen Pablo Ventura. Er gibt zu Vorstellungsbeginn mit einem Metronom den Takt an. Dieser pulsiert dann seinen Tänzern synchronisiert und digital, rotleuchtend auf der Brust. Er zieht also seine Figuren auf, und die Vorstellung läuft. “Dreitausend Takte lang”, meint ein Tänzer.

Eine Welturaufführung auf der Höhe heutiger Technologie (interaktive Soundtrack-Verarbeitung von Forsythes Improvisation-Technology-Mittäter Christian Ziegler, Software und Video von Daniel Bisig und Pablo Ventura vormals aus dem ArtLab der Uni Zürich) und kein Kritiker geht hin? In der Schweiz ist das möglich. Die dezentralisierte kulturpolitsche Unterstützung des Tanzes liegt im Argen, scheint’s. Ebenso die Tanzpresse. Man wünscht der Companie, daß ihre Ausserirdischen auf der Auslandstournee abheben können. High-Tech aber nie ihnen die Show stiehlt.

Freitag, 6. November 2009

Ausblick November 2009

erschienen in Ensuite Nr. 83 S. 22:

Merce Cunningham in Genf

Ein Höhepunkt im diesjährigen Gastspielangebot in der Schweiz ist eindeutig die Merce-Cunningham-Companie aus New York. Intelligent (auch vermarktungstechnisch) ist, wie der westschweizer Verein zeitgenössischen Tanzes ADC in Genf dieses Ereignis einzubetten weiss : Ehemaliger Cunningham-Tänzer Foofwa d’Imobilité hält Fortbildungs- und Meisterkurse in dieser Technik, seltenes Dokumentationsmaterial wie auch künstlerische Dokumentarfilme (von Charles Atlas) sind zu sehen, Vorträge, Ausstellung und gar manch postmodern-konzeptuelle Verwertung von Merce’s Tanz durch geladene Choreographen.

Gastspielort der Cunningham-Companie : Bâtiment des Forces Motrices, Place des Volontaires 2, Genf 022 322 12 20

Datum : 27., 28., 29. November 20.30 Uhr

Futuristische Präzision in Zürich

Ein künstlerischer Erbe Merce Cunninghams ist in Zürich zu sehen (vgl. Artikel). Der in der Schweiz Choreographie Lehrende Pablo Ventura spielt mit gleicher Hingabe wie die Coryphäe mit neuesten technologischen Mitteln im Dienste des Tanzes. Die Software Life Forms ruft niegesehene Formen ins Leben. Sie materialisieren sich in anspruchsvollen Tänzern. Eine Entdeckung.

Ort : Tanzhaus Wasserwerkstrasse 129 Zürich (0)44 350 26 11

Datum : 5., 7.,. Nov. 20h, 8. Nov 18h

Aufstieg in Genf

Bevor die aufstrebende Genferin Maud Liardon vielleicht in der Deutschschweiz zu sehen ist, findet die Premiere ihres Stückes Zelda Zonk (siehe Ensuite-Artikel) in Genf statt. Auf dass talentierte Tänzer auch Talente im Tanzmachen entfalten !

Ort : adc - salle des Eaux-Vives, rue des Eaux-Vives 82-84, Genf 041 22 320 06 06

Datum : 4 bis 15. Nov.

Romantisches in Bern

Dass dem Bern Ballett unter dem Damokles-Schwert der Schliessung der Sinn nach Romantischem steht, ist beachtlich. Vielleicht fliesst etwas jugendlich Aufrührerisches gegen auferlegte Vorgaben und (ökonomischen) Räsonnements ein?

Ort : Stadttheater, Kornhausplatz Bern, 031 329 51 51

Datum : 08.11.2009, 15.00 Uhr,13., 27. Nov. 19.30Uhr

Tanz pur in Basel

Die Cathy Sharp Companie ist volljährig und steht im 18. Jahr zu ihrer Identität : Komplexe und dichte Choreographie für die Tanzwut der Mitglieder (vgl. Text) : The Urgency of Now (pure dance)

Ort : Theater Roxy, Muttenzerstrasse 6, Birsfelden/Basel 061 206 99 96

Datum : So. 01., 08. November 2009, 19h
 Mi. 04., 05., 06., 07. Nov., 20h


3 Schweizer Choreographen

erschienen in Ensuite Nr. 83 S. 20-22:

Drei in der Schweiz tätige Choreographen bereiten neue Tanzabende für uns vor. Ensuite sprach mit ihnen.

1. Pablo Ventura Dance Company

2046 ist das letzte Jahr der garantierten Selbstverwaltung Hong Kongs. 2046 ist auch der Name einer fiktiven Stadt, zu der man eine Raum-Zeit-Reise durchs All unternehmen kann – um (ausgerechnet !) seiner eigenen Vergangenheit zu begegnen. Sie gab dem Film des Chinesen Wong Kar-Wai den Namen, der eine Auszeichnung beim Europäischen Filmpreis 2004 erhielt. In einnehmenden atmosphärischen Bildern malt er darin eine kurze Science-Fiction-Episode, die Rückreise aus der zeitlosen Stadt. Die Episode heisst entsprechend « 2047» und ist ein Schlüssel zur (Film-)Wirklichkeit, zum Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Genau diese filmische Schlüsselepisode, die Raum-Zeit-Reise, nimmt der Choreograph Pablo Ventura als Unterlage für sein neues Stück 2047.

Das Tanzstück ist die Abkehr von seinen Artificial Intelligence Labor-Forschungsarbeit, das er an der Universität Zürich betrieb. Die wissenschaftliche Kollaboration mit Daniel Bisig u.a. sollte einen tanzenden Skelett-Roboter generieren. Dem Tanz wäre damit aber nicht viel gewonnen.

Er hatte bereits eine tanzende Frühversion dieser Maschine im Schlussteil seiner Trilogie De Humani Corporis Fabrica seinen Tänzern (triumphierend ?) gegenübergestellt. Als er im Anschluss sich rein technischen Installationen auf Cyber-Tagungen z.B. in Singapur zuwandte, schien er der Tanzwelt abhanden zu kommen. Die kubische Bewegungsskulptur, die live auf Menschen und Reize reagierte war mehr Spektakel, denn Kunst.

Welcome Back to (dance) reality ! Nun wendet er sich also vom Roboter ab und formt wieder Gestalten aus Fleisch und Blut. Ganz wie der Protagonist der Filmepisode 2047, der am Ende der Raum-Zeit-Reise erkannte, dass er sich von seiner Liebe zu einem Androiden lossagen muss…

« ich habe die letzten 10 Jahre viel gelernt bei der Arbeit mit dem Computerprogramm LifeForms ». Dieses Programm entwickelte man mit Merce Cunningham für dessen zufallsgenerierte Posenpuzzle-Technik. Bei Pablo Ventura werden aber nicht wie beim berühmten Meister wiedererkennbare (Ballett-) Versatzstücke durchmischt, sondern die Knochen selbst, scheint es. Schaut man sich in der Library um, der Posensammlung des Softwareprogramms, dünkt man sich im Gruselkabinett. Gelenke türmen sich übereinander, begraben Figur samt Kopf. Eine Sequenz , d.h. zehn bis fünfzehn solcher Monströsitäten, nennt sich « Phrase » und wird den Tänzern wie eine Partitur ausgeteilt. Diese studieren die Abfolge und ihre sekundenbruchteilgenaue Dauer. Doch wen wundert’s, dass sie nicht wissen, wie sie in die Posen hinein- und wieder hinausfinden ? Dafür wird der Hexenmeister gerufen. « Besonders wenn es zum Boden geht, muss ich her. Das Programm LifeForms sagt nichts über Gravität aus. Wie man am handlichsten mit ihr umgeht, zeige dann ich. »

Ich denke wie LifeForms

Wochenlang wurden die Phrasen, die die Choreographic Machine herausspuckte, einverleibt. Zum Glück mit einem gehörigen Anteil an repetitiven Posen. Aneinandergereiht sind sie einfach ein Stand-still, eine Verschnaufpause. « Wir haben 30 Minuten an individuellen Phrasen verarbeitet. Das halbe Stück steht. Diese Woche gab ich den Befehl « cut and paste » den Tänzern. In früheren Stücken machte ich diese Arbeit am Computer. Mittlerweile denke ich in seiner Begrifflichkeit und die Tänzer verinnerlichen sie. Sie können vom Fleck weg die Phrase A der Beine mit der Phrase B der Arme verbinden. » Was herauskommt, ist überraschend. Keine Spur von einer intentionalen choreographischen Handschrift. Oder doch ?

« Welche Qualität die Verbindungswege der Posen haben, bestimme schon ich. Und meine Arbeit ist sehr contrapunktisch. Während die Frauen Androiden sind, mit einem unfokussierten verlorenen Blick, ist der Mann als einziges menschliches Wesen kommunikativ. Und in der Form : Während die einen sich z

u Boden schrauben, darf ein anderer durchaus in die Höhe sprengen. »

Wenn demnächst noch der Befehl erfolgt, kopiere die Beinarbeit des Nächsten zu deiner linken und die der Arme zu deiner Rechten, (Ausdruck von genetischem Transfer ?) sind wir berufen, Mensch und Android zu entflechten und zu dechiffrieren. Auf, auf zum Decodieren !

Zur Tanzlandschaft Zürich

K.S. Mit sechs virtuosen Tänzern und technologisch anspruchsvollster Ausstattung – Sie arbeiten mit dem Medienkünstler Christian Ziegler zusammen, der Forsythes berühmte CD- Improvisation Technologie herausbrachte - : Wie schätzt Du die derzeitige Lage für anspruchsvollen Tanz in der Schweiz ein ?

V. : Früher musste man fünf Monate im voraus buchen, um einen Proberaum zu ergattern. Nun scheint es sehr leer hier. Dabei stürzt man sich als Tänzer im Herbst in die Arbeit. Ob das von einer Krise herrührt, weiss ich nicht. Ich habe diesmal nur Unterstützung von der Stadt Zürich. Was ich Herrn Ziegler, (Komponist und renommierter Videokünstler) zahlen kann, ist eine symbolische Summe, für die ich mich schäme. Was die Förderer gutheissen, scheinen Kleinprojekte zu sein. Ich visiere aber auch grosse Theater zum Gastieren an. Dass die grösste Stadt der Schweiz sich nicht leisten kann, eine mittelgrosse Companie, ein überwiegend schweizer Team zu unterstützen, ist entmutigend.

K.S. : Dann solltest Du mit Cathy Sharp Rücksprache halten, sie scheint das kulturpolitisch fortsc

hrittlichste Baselland seit 18 Jahren hinter sich zu haben.

V : Sie kann von Glück sprechen, dort ihr Standbein zu haben.

K.S : Und was hälst Du von der Präsenz des Tanzes in den Medien ?

V : Die Ankündigung von Gastcompanien funktioniert hier sehr gut, die Vorbesprechung ihrer Stücke. Nachbesprechungen, die Kritiken nehmen ab, scheint mir. Die lokalen Companien, wenn sie denn nicht Teil eines Trends sind, haben es schwer, bekannt zu werden. Mir fehlt seit zehn Jahren die Möglichkeit, mein Publikum heranzuziehen. Meines kommt – ironischerweise - nicht aus der zeitgenössischen Tanzszene. Meine Stücke besuchen ein breitinteressiertes Tanzpublikum und Liebhaber von Architektur und Videokunst.

2. Cathy Sharp’s Company besinnt sich

Cathy Sharp, Ihre Company ist 18 Jahre alt. Sie ist gut etabliert und erfolgreich. Warum führen Sie im Titel Ihres neuen Tanzabends « The Urgency Of Now » den Zusatz « pure dance » ?

Ich wollte das nicht an die grosse Glocke hängen..

ensuite : .. Sie setzen den Zusatz auch in Klammer..

C : ja, eben. Mit diesem Programm gelingt es uns, uns wieder auf das ursprüngliche Profil und die künstlerischen Werte der CSDG zu besinnen. Wir haben nun mal keine theatralische und keine performative Ausrichtung. Auch wenn - wie das letzte Stück mit der experimentellen Musikgruppe Stimmhorn zeigt - wir da ganz offen sind. Also : wir bieten puren Tanz.

Der kommende Tanzabend vereint Werke, die choreographisch sehr dicht sind und Gültigkeit besitzen ohne jeden Schnickschnack. Sie wurden vor zehn Jahren für uns geschaffen. Und sie sind es wert, zu überdauern.

Spannende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit

Als die beiden Choreographen der Stücke, Nicola Fonte und Philippe Blanchard , mir damals empfohlen wurden, waren sie sehr junge aufstrebende Talente. Unsere Companie dagegen war bereits reif, auch dem Alter nach. Jetzt verhält es sich umgekehrt. Die derzeitigen Tänzer sind so jung wie Fonte und Blanchard es damals waren -, dynamisch und ausgesprochen bewegungshungrig. Es ist ein spannender Prozess zu sehen, wie gereifte Choreographen sich ihren Frühwerken stellen.

K : Ein solches Bewusstsein für Repertoirpflege ist selten im modernen Tanz.

C : Das ist richtig. Der junge Nicola Fonte kam damals gerade von der Nationaltanzgruppe in Madrid (Compania Nacional de Danza) unter der Leitung des begehrten Nacho Duato (einem ehemaligen Jiri Kylian-Assisten). Er mag dort für Repertoirpflege einen Sinn entwickelt haben. Ich tanzte mit Heinz Spoerli in Montreal. Auch wenn er klassischer ist als ich, den Wert eines Repertoires, der Wiederbelebung wichtiger Werke, teilen wir. Das Auffrischen aus eigener Hand aus zeitlicher Distanz lässt Relevantes erst richtig hervorkehren.

K : Jiri Kylians Stil ist, zeitgenössische, aber auch ethnologische Elemente für (klassisch) voll ausgebildete Tänzer fruchtbar zu machen, oder umgekehrt ausgedrückt, das Spektrum zeitgenössischen Tanzes durch anspruchsvolle Technik zu dehnen. So etwas schaffte noch Mats Ek. Der Stil, der auf der Verschmelzung auf hohem Niveau beruht, hat nie eine so breite populäre Verbreitung gefunden wie die experimentelle Performance-Art z.B. Liegt das etwa an den Anforderungen ?

C : Ja, meine Tänzer müssen sowohl im klassischen Tanz bestehen können, als auch im modernen und zeitgenössischen Tanz zu Hause sein. Sie befinden sich an der Schnittstelle beider Stilrichtungen. Und das schmälert sehr die Auswahl.

K : Dafür bietest Du im Gegensatz zur freien Szene und den dort üblichen Projektverträgen Saisonverträge an, einen weitsichtigen Spielplan und mit Ihren beruflichen guten Übersee-Beziehungen jährlich monatelange Tourneemöglichkeit.

C : Ja, meine Tänzer danken es mir mit Treue. Ich wollte von Anbeginn eine Companie gründen, die ich mit langem Atem heranbilden konnte. 30 Vorstellungen und zwei Produktionen jährlich (je eines für Baselland und Baselstadt) fordert und fördert sie.

K : Sie touren weniger in der Schweiz. Im Rahmen von Steps waren sie zweimal dabei. Passen Sie nicht in den Trend der übrigen Festivals ?

C : Wenn die Festivals einem Trend folgen müssen, dann tut es mir leid. Sie profilieren sich untereinander gar nicht so sehr. Man hat den Eindruck, manche Companien touren von Festival zu Festival.

K : Was bietet in Ihren Augen derzeit die Medienlandschaft für den Tanz?

C : Ich bin ganz einverstanden mit Heinz Spoerlis Anaylse, dass weniger Tanzkritiker engagiert sind. Und dass sie eine Ausbildung benötigen. Auch wir beginnen nicht gleich als Primaballerina. Und dazu gehört die Mobilität. Wenn die Zeitungen das nicht leisten,

müsste man fast erwägen, ob nicht der Tanzdachverband diesen Beruf und seine Mobilität unterstützt. Bei uns kommen nur Kritiker aus Basel und Freiburg in Breisgau vorbei. Umgekehrt weiss ich auch zuwenig von der Westschweiz. Man bleibt unter sich. Der Tanz und seine Arbeiter in den Studios brauchen aber Feed-Back und wollen ihre Arbeit unters Volk getragen wissen. Da reichen unsere Poster und Flyer nicht. Auch das Verschwinden der Fachzeitschrift von Gerhard Brunner, ist einVerlust : sie hinterlässt eine Leere in der Fachpresse. Die Tanzwelt wartet mit Spannung, was sie füllen mag.

3. Femme Fatale in Maud Liardons Zelda Zonk

Marylin Monroe hat mit 36 Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach sich das Leben genommen. Ein berufliches Leben in Glamour kollidierte mit einem unerfüllten Privatleben. Ihr eigenes Image, mit dem sie reüssierte, wurde ihr zum Verhängnis. Was in ihrem Innersten abging und sie nie wirklich ausdrücken konnte, interessiert nun die gebürtige Genferin Maud Liardon.

Auch sie ist 36 Jahre und hat eine erfolgreiche (Tanz-)Karriere hinter sich. Und auch ihr Privatleben blieb dabei eher finster. Diese Ähnlichkeit, ganz unter Beachtung der unterschiedlichen Proportionen, wie sie gesteht, berühre sie. Das Image, das man von Tanzinterpreten hat, suchte sie bereits in ihrem ersten Stück Arnica9CH (my life as a dancer) zu untergraben. Schmerzpillen und banale Gedanken begleiten dort visuell und akustisch ein Solo, das den Fingerabdruck von Giganten wie William Forsythe und Trisha Brown zu tragen scheint (deren Stücke sie mehrfach tanzte). Im neuen Stück geht Maud Liardon Marylin Monroes Zerbrechlichkeit hinter der Fassade auf die Spur. Als Zelda Zonk, ein Pseudonym, das sich Marylin bei ihrem Aufbruch nach New York zugelegt hatte, kontrastiert sie die leichte Gangart der Musicalästhetik der 50er mit den möglichen Gedanken der Depressiven in ihrer letzten Stunde.

Und hat sie bereits ihren eigenen Bewegungsstil ? « In Arnica9CH war das Bewegungsmaterial

eher ein Vorwand, um meine Kommentare und Brechungen anbringen zu können. » Nun, dieser Vorwand war auf höchstem Niveau. Doch auch nun dienen ihre Bewegungsrecherchen anhand von Filmmaterial aus den 50ern eher zur Illustration des Widerspruchs bei Marylin, meint sie. Dabei kann Spannendes herauskommen. Und vielleicht summiert sich all dies einmal zu einem unverwechselbaren Liardon-Stil.

Denkt sie daran, Material auf mehrere zu verteilen und miteinander zu verweben? Denkt sie an andere Tänzer ? « Nein, ich habe noch Angst. Professionnelle Tänzer haben Erwartungen, wie Proben vorankommen

sollten. Ich arbeite derzeit sehr langsam. Das wäre auch ein organisatorischer Druck. Und in dieser Phase, wo ich thematisch sehr intime Inhalte abtaste, bräuchte ich sehr vertraute Tänzer. »

Hat sie für den Start als Choreograph eine gute Piste? « Nur hier in Genf konnte mir der Start gelingen. Die Dichte der Tanzschaffenden- und veranstalter, die sich hier begegnen, ist sehr förderlich. Die Ermutigung, die Subventionen und kostenlose Proberäume, nur hier konnte ich durchstarten. In Paris oder Schweden hätte ich bereits Studios anmieten müssen. »

Hat sie von einer – zwar sehr kurzen – Weiterbildungsmöglichkeit für aufstrebende Choreographen in der Schweiz gehört ? « In Zürich ? Nein. Das wäre aber eine Chance, mich zu entwickeln und neue Bahnen zu eruieren, neue Dyanmiken auszuprobieren. Ich hatte bislang noch nicht die Gelegenheit, an sowas zu denken. Bislang hatte ich auch noch nicht viel mit der Presse zu schaffen. Erst die Auswahl für die Zeitgenössischen Schweizer Tanztage verhalf mir zu Gastspielen und im Anschluss zu den für Subvention und Promotion so begehrten Presseberichten. »

Bis die Rückenprobleme, die die anspruchsvolle Profitänzerin in die Knie zwangen und feste Verträge vereiteln, auch ihre Eine-Frau-Shows verhindern werden, sollte sie ihre Sprache gefunden haben, die andere für sie sprechen werden. Tanzend.