erschienen auf tanznetz.de am 08.11.2009:
Tanz auf der Höhe der Technologie
Ventura Dance Company feiert seine Premiere mit “2047”
Das Tanzhaus Zürich bot am 6. November niveauvollen Tanz unter Einsatz von High-Tech.
Ein androides Wesen in anliegendem Weiß steht auf einer Leinwand. Wie auf einer Laufbahn, die sich von weit her aus dem Horizont unter ihre Füsse erstreckt. Sie ist eher eine Fahrbahn, denn ihre Linien, welche auf uns zuströmen, verbildlichen: die vertanzte Geschichte ist eine Reise. Eine Reise in der Zukunft. Die Science-Fiction-Episode aus dem preisgekrönten chinesischen Film “2046” mit der Reise aus einer Stadt aus dem All gab dem Tanzstück den Namen und dem Choreographen Pablo Ventura die Inspiration. Mit dieser Fahrt versucht ein Mensch, sich aus den Klauen seiner Vergangenheit zu entwinden, und die dabei behilflichen Hostessen sind – zeitlose Androiden. Der Flair beschleunigter Mobilität zwischen künftigen kosmopolitischen Städten hängt buchstäblich über dem Geschehen: Eine breite Videoprojektion schwebt über der Tanzszene, eine traumhafte Verfremdung einer Bahnreise aus der Metropole Singapur. Umrisse verschwimmen, Auflösung und Flächenstruktur wandeln sich wie unsere Farben im Traum. Fremd und berührend zugleich hebt das Video so angenehm ab von der scharfkonturierten retuschierten Ästhetik heutiger Werbespots.
Im eigenen Netz gefangen
Unter dem Videofilm schraubt und faltet sich nun das fremde androide Wesen. Die ruhigen senkrechten Linien, die bislang über Wand, Boden und das Wesen hinweghuschten, fangen an zu schwirren und reagieren wie ein Resonanzbecken. Zuckt der Android nur, erzittern sie in seinem Rhythmus, greift er weit in den Raum, dehnen sich die Parallelen wie breitgezupfte Saiten. Dann aber ergiesst sich eine Graphik wie eine Flutwelle über die abgebildete Kontur: In der Logik von Schwarmverhalten verdichten sich nervöse feine Querlinien, umschwirren sie die Kontur und rauschen von dannen. Daniel Bisig, Biologe und Programmierer hat die interaktive Software Swarm erstellt. Sie greift über Kameras die Parameter von Bewegungsdynamik und ihren Vektoren als auch den Konturen des Tänzerkörpers auf der Bühne heraus. Die Parameter evozieren ein Schwarmverhalten in der Graphik, welche im Stillstand nur die herablaufenden Linien bildet. Der Android steht so inmitten eines projezierten Netzes, das er sich selbst überwirft. Je agiler er wird, desto vertrackter spannt es sich um ihn. Darf ein technologisches Produkt wie dieser künstliche Mensch ungestraft nach Selbstbestimmung heischen?
Wie immer die Antwort ausfällt, der noch-echte Mensch der Zukunft, in Venturas Stück der Mann (der versierte Asiate Khai Vu), ist bereits durch Technologie infiziert. Seine Bewegungen gleichen denen der weiblichen Androiden. Ihre geschäftige Gelenkwinkelungen suggerieren Hyper-Funktionalität. Wie Scharniere öffnen und falten sich die Glieder an den überraschendsten Stellen der Gliedmassen und man ahnt, warum manch geneigter Kopf darob vergessen ward. Wohl schlicht, weil ihm keine Funktion zuteil ward. Doch mit dem Kopf und dem Blick geht ein Schlüssel verloren. Wie in Forsythes The Loss of a Small Detail ist der Fokus, der den Brennpunkt einer Bewegung extern festhält (im Klassischen oft in Verbindung mit dem Epaulement), den Androiden abhanden gekommen. Folglich absolvieren sie die unvollstellbarsten Verkettungen der Glieder– ohne einen Blick. Verloren und bezugslos läuft perfekte Mechanik ab wie ein Hohn auf die Verselbständigung purer Funktionalität.
Und was macht ein Mensch angesichts kühler Abläufe zu seinen Diensten? Wenn die Hostessen nach verquerten Sequenzen kopfüber einhalten, den Kopf begraben, und weitreichende Beine wie Antennen sondierend ausschwingen? Er schaut und greift ein. Doch seine Manoeuver erwirken keine emotionale Rückmeldung. Eben, keinen Paartanz.
Wer sich fragt, wie im zeitgenössischen Tanz mit seinen disparaten Blicken und geräuschhafter ‘Musik’ noch gestochenscharfe Gleichzeitigkeit erzielt werden kann, der wende sich an den Bewegungsprogrammierer, den Choreographen Pablo Ventura. Er gibt zu Vorstellungsbeginn mit einem Metronom den Takt an. Dieser pulsiert dann seinen Tänzern synchronisiert und digital, rotleuchtend auf der Brust. Er zieht also seine Figuren auf, und die Vorstellung läuft. “Dreitausend Takte lang”, meint ein Tänzer.
Eine Welturaufführung auf der Höhe heutiger Technologie (interaktive Soundtrack-Verarbeitung von Forsythes Improvisation-Technology-Mittäter Christian Ziegler, Software und Video von Daniel Bisig und Pablo Ventura vormals aus dem ArtLab der Uni Zürich) und kein Kritiker geht hin? In der Schweiz ist das möglich. Die dezentralisierte kulturpolitsche Unterstützung des Tanzes liegt im Argen, scheint’s. Ebenso die Tanzpresse. Man wünscht der Companie, daß ihre Ausserirdischen auf der Auslandstournee abheben können. High-Tech aber nie ihnen die Show stiehlt.
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