erschienen in Ensuite Nr. 85 S. 21-22:
Zwei Regionen setzen auf Tanz mit Zusatz
1. Freiburgs Theater
Im Jahr 2012 wird Freiburgs Theater im Herzen der Stadt pulsieren. Seit 2005 konnten die Bürger sich – nach 30 Jahren Dürre – schon einmal an einen ernsthaften Spielplan der neuen Spielstätten Espace Nuithonie gewöhnen. Der Intendant, bald auch des künftigen Gastspielhauses, konnte mit bis zu hundert Vorstellungen jährlich seinen Anspruch an Qualität in der Vielfalt unter Beweis stellen. Die Auslastung ist beneidenswert : seit anbeginn um die 90 %. Ist das nur der Nachholbedarf der Einheimischen des schwarz-weiss geflaggten Kantons ? Wohl nicht, denn der Appetit hält an.
Nur 150 m vom Bahnhof entfernt wird das neue Theater erbaut. An exponierter Stelle, laut Plan mit Blick auf die gerade verschneiten Voralpen. Es wird auch für das Umland interessant, da gut erreichbar. Wie günstig, dass das Projekt der Agglomeration[1] in diesen Tagen zu wirken beginnt. Damit werden die Kräfte für eine Kultur von überregionaler Bedeutung gebündelt, der Hunger nach dieser gemeinsam geschürt und
gestillt. Sie wird auch bezahlbarer, würde man denken, denn wo viele Gemeinden zusammenfassen, können grössere Projekte entstehen. Doch dem ist nicht so. Es sind weiterhin die fünf (mehrheitlich frankophonen) Kerngemeinden, die mit dem örtlichen Casino das Theater finanziell tragen. Vielleicht braucht es noch Zeit, das gesteckte Ziel zu erfüllen und das Umland in die Pflicht zu nehmen. Die Einwohner der unterstützenden Gemeinden profitieren jedenfalls im Gegenzug von billigeren Abos.
Das Ziel ist hochgesteckt : das Theater soll mit dem Programm auch auf nationaler Ebene Bedeutung erlangen. Der New Yorker Graham-Erbe Pascal Rioult mit seinem berauschenden Ravel Project, die neoklassische Truppe des begehrten Franzosen Thierry Malandin aus Biarritz oder die frech-dynamische Hip-Hop-Gruppe Accrorap waren die Reisser. Sie hatten durchaus Lausanne und Bern als Publikum im Visier. Es ist nicht einzig der Kritiker aus Genf (Le Temps), der sich dafür auf den Weg macht.
« Ja, unsere verkehrstechnisch günstige Lage und unsere Kenntnis der deutschschweizer wie welscher Kultur prädestiniert uns, eine Brücke über die Kunst zu bieten. Wir werden nun verstärkt das deutschsprachige Publikum suchen », meint der Intendant Thierry Loup gegenüber Ensuite. « Der Tanz ist hierbei ideal und auch überaus gefragt. Wir werden ihn in unserem Programm ausbauen.»
Dass dem Intendanten bei der Stückauswahl eine gewisse Eklektik zueigen ist, möchte er gar nicht bestreiten. « Ich schätze sowohl leichte und heitere Stücke wie auch tiefschürfende. Auch stilistisch habe ich keine Bevorzugung oder Vorurteile. Ich geniesse immens den sich auf den Bühnen ausbreitenden Break-dance wie auch die Neoklassik. Mein einziges Kriterium ist Qualität. »
Doch nicht nur. Denn es muss für Thierry Loup in den Stücken auch wirklich getanzt werden. Das ist mittlerweile keine Selbstverständlichkeit. « Ich muss mit allen Sinnen, Gefühlen und dem Herz angesprochen werden, damit es mich überzeugt», sagt ausgerechnet der Kopfmensch, der ehemalige Mathematik- und Physik-Studiosus.
Natürlich gibt es auch den Auftrag, die lokale Companien zu unterstützen. Deren gibt es drei : die Zürich-Freiburger Companie Drift, DaMotus und die neugegründete Companie Karine Jost. Sie sind so verschieden, wie die Tanzszene selbst, schwärmt der Intendant. Die ersten beiden touren bereits weltweit.
Schon seit Jahren lobt die Companie Drift die Freiburger Probebedingungen : « vier-fünf Wochen Bühnenproben bekommt man sonst nirgends ». Das Iglu, die Musikinstrumente und das Pagenkostüm an Ort und Stelle auf der Bühne liegen lassen zu können (und premierengerecht) dort wieder vorzufinden, ist auch eine atmosphärische Verführung für jeden Künstler.
Worte zum Tanz. Und wie geht es der Kunstvermittlung im zweisprachigen Raum[2]? Merci, bien. Danke der Nachfrage. Sie läuft reibungslos, comme il faut. Bilinguismus ist eines der wenigen Ziele, das laut einer Auswertung[3] des Espace Nuithonie noch nicht erreicht ist. Wenn nun der Tanz als mobiler Brückenschlag in jede Richtung sich erstrecken soll, wie seine verbale Vermittlung ? « Das ist ein heikler Punkt. Das Publikum hat schon von sich aus Berührungsangst. Dann noch der empfundene Druck, bei Werksbesprechungen Fragen stellen zu müssen. Über Tanz sich zu artikulieren fällt besonders schwer », meint der Intendant im Schafspelz. Man möchte hinzufügen : besonders, wenn man sie in einer eleganten Sprache wie dem Französisch zu formulieren hat… Deshalb soll demnächst das Publikumsgespräch zweisprachig verlaufen.[4] Doch auch inhaltlich gilt es, dem Zuschauer Mittel an die Hand zu geben, seine Eindrücke anschaulich zu schildern. So wird er Zutrauen fassen, um Bewegung in Worte zu kleiden. Wenn er erkannte, was konkret am Stück seine Eindrücke verantwortet und das gar als Beispiel vorbrächte, wäre schon fast alles gewonnen. Eine Diskussion wäre im Gange. Kurze Einblicke vom Moderator, wie der Künstler zur Idee, wie er zu seinem Stil fand, sind abrundend oft unterhaltsame Informationen. Wenn dann noch der innere Blick der Interpreten sich auftut, weil Tänzer anwesend sind, wie beim Publikumsgespräch nach der Vorstellung des Genfer Balletts kürzlich in Freiburg, kann sich alles umstülpen : Der Eindruck eines Zuschauers, dass auf Johann Sebastian Bachs Choräle die Tänzer in Adonis Foniadakis Stück Selon Désir sich wohl an der Miami-Beach-Party verausgabten, der schwingenden Röcke (für Mann wie Frau) und der nackten Beine wegen, wandelte sich nach den Zeugnissen der Tänzer. Diese gestanden, dass die technische Herausforderung sie so erschöpfte, dass das Stück nur zu meistern sei, indem sie die Kraft der Musik absorbierten. « Das war wie ein Trip, wir tanzten wie im Trance », meinten beide mit leuchtenden Augen. Wenn dann noch der Hinweis fällt auf die unentwegt geschwenkten Köpfe, ahnt man biologische Zusammenhänge: kämen vielleicht auch organische Gründe für den Trance in Frage ?
2. Tanznetz Genf
Genf hat wohl das dichteste Tanznetz der Schweiz. Seine Spannbreite reicht vom Ballett (die Qualität hielt sich seit Balanchines Leitung in Genf) bis hin zum experimentierfreudigen zeitgenössischen Tanz. Ein agiler Tanzverband (Association de la Dance Contemporaine, kurz ADC) beflügelt die Verbreitung des Angebots, bietet eine anspruchsvolle Zweimonatszeitschrift und organisiert Kurse, aber auch Busfahrten zu Tanzveranstaltungen ins Nachbarland. Über die Hälfte der Projekte zur Sensibilisierung der schweizer Bevölkerung für den Tanz kommt aus Genf[5].
Das Festival “Constellation Cunningham” war ein genialer Schachzug des ADC. In Zusammenarbeit mit der Fondation Flux verpflichtete der Verband die Merce Cunningham Dance Company (MCDC) noch zu Lebzeiten des Meisters zu einem Gastspiel. Nicht nur künstlerisch war dies ein Glücksgriff (siehe die Kritik ). Auch (kultur)marktstrategisch: Das Verscheiden des Choreographen im Sommer machte die Companie begehrter denn je: nur zwei Jahre noch soll sie auf Wunsch des Meisters fortbestehen. Die Metropolen reissen sich wohl um die Termine der anstehenden Abschiedstournee. Doch in der Schweiz prangte bereits der verschmitzt lächelnde Krauskopf von Merce werbend auf den Strassen. So auch auf den riesigen Leuchtflächen des Berner Bahnhofs. Die nationale, gar internationale Strahlkraft liess sich aber noch steigern. Wie? Mit Rahmenveranstaltungen zum Tanz. Künstlerisch aufbereitete Dokumentarfilme[6] in Anwesenheit des Filmemachers, Charles Atlas, waren zu sehen, gezeichnete Tierstudien des Choreographen ausgestellt, ebenso Fotos. Es gab Profitraining des langjährigen Merce-Assistenten aus New York, Probenbesuch für Studierende (so kam die Berner Tanzwissenschaft angereist), Meisterkurse in der Cunningham-Technik im Studio des Genfer Ballet Junior und, und und.. Dazu kreierten bei Merce geschulte Choreographen ihm eine Hommage. Einer davon ist der Genfer Foofwa d’Immobilité, dessen Stück Musings wohl bald schweizweit zu sehen sein wird. Ein seltenes Leckerbissen war der Runde Tisch, an dem man Zeuge von Geschichtsentwicklung wurde. Tänzer der ersten Stunde des MCDC, die mit John Cage und Robert Rauschenberg in den 50ern noch täglich Zwiebel schälten, sassen denen der (über)nächsten Generation gegenüber. Einander konfrontiert wurde bald klar, wie die technische Leistung sich über die Jahre gesteigert hatte “in den 90ern war man bei Merce nach drei Jahren verbraucht”. Fragen wie “Ging die auflockernde Release-Technik der 90er an Merce unbemerkt vorüber?” (Antwort: Ja!), kamen offensichtlich aus dem Munde von Profis. Die Repetitionsleiterin des Pariser Conservatoriums z.B bemerkte, “die anstrengende Cunningham-Technik erlernt sich nicht in Frankreich.” Die frühen Gastspiele von Merce konsumierte man nur durchs Auge. “Man sagt in Amerika, die Franzosen trainieren nicht, sie glauben bloss, dass sie trainieren”, kam die Replik. Die englisch-französischsprachige Veranstaltung war spannend, zeigt aber einmal mehr, wohin jenseits des Röstigrabens der Blick gewandt ist: nach Frankreich.
Das Wort zum Tanz als Event
Den recht analytischen Gesprächsrunden Freiburgs und Genfs steht in Berlin ein neues Modell gegenüber. Das zunehmend zur Performance- und Eventkultur verkommende Festival Tanz im August übernahm vor zwei Jahren eine Idee einer offenen Internet-Plattform[7]. Das Podiumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung soll demanch zum virtuellen Spiel werden, zum “Impersonation Game”. Die Rollen werden vertauscht. Es gibt zwar Fachleute, aber sie stellen keine Fragen. Es gibt auch beteiligte Tänzer, aber sie erteilen keine Auskunft. Es sind sie, die fragen. Und die mehrheitlich tanzfremde Kunstkenner liefern die Antwort. Zu einem Stück und Stil, das sie nicht länger kennen als das angereiste Publikum. Sie überspielen virtuos und mit feuilletonistischen Floskeln das Manko. Der Zuschauer ist erst beeindruckt, dann verunsichert – und kehrt schliesslich enttäuscht heim.[8] Ein mulmiges Gefühl überfällt uns: unterliegen wir etwa immer der Illusion eines sich kundig gebenden Fachwelt?
[1] http://www.agglo-fr.ch/domaines-dactivites/promotion-culturelle.html
[2] Laut dem kantonalen Amt für Statistik sprechen im Jahre 2000 29,2 % als Hauptsprache deutsch, 63,2 % französisch. http://appl.fr.ch/stat_statonline/portrait/etape2.asp?Contexte=2&Domaine=350&Liste=350
[4] Die Freiburger Nachrichten mobilisierten ihre Leser am 11. Dez.: « Dieses Gespräch verläuft ausdrücklich zweisprachig und versteht sich als Testlauf für eventuelle weitere Veranstaltungen dieser Art ».
[5] 30 Projekte von 56 insgesamt stammen aus Genf laut dem Katalog zu Kulturvermittlung im Bereich Tanz 2008.
[6] Merce Cunningham: A Lifetime of Dance (2000), gewann den Bessie Award und den DanceScreen-Preis 2000, Merce by Merce by Paik (1976), Channel/Inserts (1982)
[7] http://www.everybodystoolbox.net
[8] Die Autorin befragte am 23. Aug. 2009 nach dem Publikumsgespräch zur Vorstellung Accords mit Thomas Hauerts Companie Zoo einige Zuschauer, Tänzer und die ‘Kulturfachleute’ (einen Kulturmanager- und Produzent, einen Musiker und eine Tanztheoretikerin).
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen