Ein Stück mit afrikanischer Leuchtkraft
"Das sind ziemlich verrückte Wesen, die stur trotz der Kaprizen der Geschichte, der Kriege, Revolutionen und Regime an die Feier der Schönheit glauben", bekennt der Kongolese Faustin Linyekula, Freund und Mit-Choreograph von Gregory Maqoma, dem wichtigsten Schöpfer heutigen Tanzes aus Südafrika.
Das zweijährige Schweizer Festival Steps stellt dieses Jahr seine Tanzstücke thematisch unter den Stern stilprägender Choreographenschicksale. Und da leuchtet Maqomas Stück bunt und hell. Es grenzt an ein feierliches Wunder, dem wir beiwohnen dürfen, wenn Gregory Maqoma sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf des Townships Soweto gezogen ein so positives und suggestives Werk schafft wie Beautiful Me. Wie er in der Kindheit seinen Namen buchstabieren lernt (Gregory ist ein Zungenbrecher für die Xhosa, dem Volk, dem Nelson Mandela und Desmond Tutu angehören), hundertmal, lernt er auch die Liste der Namen, die in seinem Land (traurige) Geschichte schrieben. Doch er sucht nicht Rache noch Spuren seiner Ahnen, sondern verspielten Dialog. Die Spuren quellen ihm ohnehin aus den Gliedern: bevor er sich versieht und eine ausholende Spirale uns auffächert, ward schon die Erde angestampft und ihrem Geist die Kraft entliehen. Die Spirale selbst ist ein Geschenk des Inders Akram Khan, einem Schicksalsgenossen. Auch er lernte die Kunst der Ahnen, den von den britischen Kolonialherren verpönten klassischen Tanz Kathak. Auch er fand zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung im Tanz von heute. Gregory sog den Kathak seines Freundes in sich auf wie begnadete Tänzer es tun: wie ein Schwamm. Wenn er mit einem weiten Rumpfkreisen die anvertraute Spirale in die Luft zeichnet, säumen feingliedrige Hindutanz-Finger die Shiva-fürchtige Pose. Doch dann folgt die Transformation: Greogorys Handflächen beginnen zu schwirren und zu flattern, ein weisender Zeigefinger verlässt das Symbolgebilde erzählender Hände, um auf die eigene Stirn zu pochen (in Kathak ist Eigenberührung tabu), und auf die Brust, sie als Büsser nach dem Gewissen abzuklopfen. Die Beine beben, doch sie folgen, mitgerissen, dem weisenden Finger, der ihnen den Horizont deutet. In wenigen Minuten ist eine Geschichte erzählt, die Kontinente und ihre Identitäten verknüpft. Die Musik tut es ohnhin, denn das partiturlose Zusammenspiel der vier Musiker auf der Bühne verbindet die indische Sitar, Violine, Cello und Schlaginstrumente.
Wen interessiert, wo die zwei Minuten Material des Star-Choreographen Akram Khan stecken? Wen interessieren die virtuosen Verwandlungskünste, wenn Gregory vom Vincent Mantsoe (der dritte Choreograph im Bunde) anvertraute Tierahmungen vollbringt, stelzt wie ein Flamingo oder heranpirscht wie ein Tiger? Es ist der Dialog, der interessiert, den er webt und pflegt, auch mit dem Zuschauer. Wir helfen ihm, seinen Namen zu buchstabieren. "Neunundneunzig", heisst's, und es entbricht ein stürmischer Applaus.
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