erscheint in Ensuite Nr. 80:
Trilogieabschluss: Babel(words)
Der gefeierte Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui hat unlängst in Brüssel das
Abschlusswerk seiner Trilogie präsentiert: Babel(words). Das
Tanzfestival STEPS holte es taufrisch in die Schweiz. Die Trilogie handelt mit
humanistischem Anspruch von den Höhen und Tiefen menschlicher sowie religiöser
Beziehung. Babel(words) ist ein theatralisches Werk, dessen Eklektik
wohl Programm ist.
Am Anfang war das Wort. So beginnt die Bibel. Am Anfang war die Geste, so
beginnt dagegen Cherkaouis Babel. Die
Geste ging dem Wort voran, heisst es da. Doch Geste und Wort, die das
behaupten, sind synthetisch wie eine Roboterstimme und die abgenutze
Zeichensprache einer Stewardess an Board. Wie aber mag die Geste ehedem
unverbraucht gewesen sein?
Da ertönen Trommeln (der fünf grossteils orientalischen Musiker) und die
bunte Arbeitertruppe des Turms zu Babel hinter der Startlinie setzt ihre erste
Geste: sie markiert ihr Gelände. Eine gute Elle bis zum Nachbarn, an den man
stösst. Der wiederum reagiert und markiert: sein Territorium, eine Elle. Und so
fort. Kurzgefasstes Drohgebärde reiht sich wie der Trommelschlag, zunehmend
aggressiv. Diagonal in den Lüften arretierte Fusssohlen grenzen ihren Raum ab
und wandeln rhythmisiert sich zum Kampfsport ohne Berührung. Die Eigenräume
überschneiden sich, eine Elle greift bis in die Kernzone des andern, die
Glieder dringen ein wie Enklaven. Schon früh lernt der Mensch, wie man mit
andern den selben Raum teilt, - respektfordernd. Gewaltig.
Dann kommt die Neugier und Entdeckung des anderen. Die Entdeckung auch der
Manipulation. Die synthetisch wirkende Stewardess-Figur, eine Überspitzung
unseres Schönheitsideals, ist nämlich steuerbar. Gelenke und jedwede Auswölbung
sind eine Klaviatur, an der sich genüsslich zwei Asiaten bedienen. Ein Hebeln
bewirkt den Knick im Ellebogen, ein Druck das Drehen vom Hals. Die passende
neurowissenschaftliche Rechtfertigung liefert uns wortreich ein Intellektueller
- doch leider hat er uns zuvor schon erfolgreich die praktischen und metaphysischen
Vorzüge des gigantischen Würfel-Designs (Bühnenbild: Antony Gormley) verkauft.
Wir werden misstrauisch... Jede Geste des Redners sitzt, der Tonfall ist
einstudiert wie der abgebrühter Vertreter. Auf dessen Rythmus echot das
Ensemble synchron seine Gebärde. Im Rhythmus findet jede Gebärde ein Gegenüber,
an dem sie angeheftet wird. Wie eine Brosche, oder eben - ein Manöver. Denn
jeder Druck manipuliert: er knickt Ellebogen und dreht einen Hals. "Das
Frontalhirn feuert dieselben Neuronen, ob wir berührt werden oder andere
berührt sehen. Was auf die Empathieleistung des Menschen hinweist" säuselt
der Sprecher. Oder auf das Know-how seiner Manipulation. Einfühlung und
Einwirkung gehen oft Hand in Hand wie Cherkaouis Paare es zeigen: Ineinander vertrackt
und verzahnt hantieren sie aneinander herum, kein Mensch weiss mehr, wer
steuert und wer reagiert. Eine
Bewegungsmaschinerie mit vier Ellbogen und zwei Hälsen, Impulsgeber und
-empfänger in einem. Faszinierend.
Als letztes, nach schwindelerregend gedrehten und getürmten Riesenwürfel
auf der Bühne , erfasst eine sehr erdene Bewegung das Ensemble. Eva (Navala
Chaudhari) verführte bereits Adam, schlangengleich wand sie sich an ihm hoch
und runter, umschlang ihn mit den Beinen und zog ihn, den Erschöpften, schliesslich
zu Boden. Ein fulminanter erdverhafteter Tanz breitet sich da aus. Mit nacktem
Oberkörper ist die Eva-Figur mal Nymphe, mit glänzender Haut dann wieder
Schlange. Sie bäumt und wölbt sich in alle erdenkliche Richtungen, sie
schleudert die Extremitäten des einen Körperendes zum anderen, ein vielseitiges
Vorankommen (wüsste man nur, wo das Ziel ist). Beugen und schwingen lässt es
sich vorzüglich auch mit anderen, und so steckt sie im Nu die Meute um sie
herum an, alles kreucht und fleucht, übersät den gesamten Boden. Der Atem
verbindet sie und schweisst die Bewegung zu einem Guss. Er macht die Energie
hörbar, wie sie in einer fliessenden Spirale im Überschwang die Körper immer
wieder hochschraubt und sich mannshoch entlädt. Oder saugt der Atem samt hochfliegender
Arme an diesen Wendepunkten dem Himmel Kraft ab, um sie im Kreis auf den Boden
gewunden zu erden? Ein Trance der Wiederholung zwischen den Gegensätzen.
Ekstatisch.
Doch wie folgt eine Bewegungssprache aus der anderen? Wie löst die
faszinierende die gewaltige ab, warum folgt die ekstatische danach? Chronologie
im Werk ist seit Cunningham & Cage als ein Zufallsspiel entlarvt. Doch
im Gegensatz zu jenen schürt Sidi Larbi Cherkaoui mit viel Symbolik unsere
Erwartung zu verstehen. Verknüpft sind die verschiedenen Bewegungssprachen
lediglich durch Worte, die wohlweisslich lose perlen können, nicht nur seit dem
Fall von Babel. Wir finden keine Stringenz in der Bewegungsdramaturgie, noch
eine choreographische Handschrift (zumal zwei zusammenarbeiten: Damien Jalet
ist langjähriger Co-Choreograph). Die stilistische Eklektik ist Merkmal der
Choreographen-Garde, die wie Cherkaoui aus der Wiege der Companie C de la B
stammt. Wir lassen die Eklektik, spektakulär an diesem Abend dargeboten, dem
gefeierten Wunderkind Sidi Larbi Cherkaoui des Themas zuliebe gern durchgehen.
Zur Sprachverwirrung paart sich Tanzvielfalt. Doch nach dieser Trilogie warten
wir auf eine Läuterung. Auch Genies, nicht nur arabische, vertragen ein Fasten.
Wenn Sie mehr über den Choreographen erfahren wollen und
hinter die Kulissen blicken möchten, bietet der TV-Sender Arte einen
Dokumentar-Film namens Babels-Träume.
Arte, 31.Mai 2010 21.50 Uhr (60min)
Regie: Don Kent (Erstausstrahlung)
Wiederholungen:
06.06.2010 um 06:00
13.06.2010 um 10:00
13.06.2010 um 10:00
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen