erschienen in Ensuite Nr. 90 S.17
Steps # 12. Das wohl attraktivste Tanzfestival der Schweiz findet alle zwei Jahre statt. Ensuite berichtet über fünf Veranstaltungen.
Die Schweizer können stolz sein auf ihr Migros-Kulturprozent, denn es ist wohl weltweit einzig, was der Unternehmer Gottlieb Duttweiler im Jahr 1957 ins Leben rief. Einmalig deshalb, weil die soziale und kulturelle Wohltätigkeit in den Unternehmenssatuten steht.
Automatisch, ohne argumentieren zu müssen, geht Jahr für Jahr ein Prozent des Umsatzes des Grossunternehmens an die Gemeinschaft, unser Gemeinwohl: unsere Kultur, Bildung, Freizeit und wirtschaftpolitische Fragen. Duttweiler war nicht Pionier heutiger Prestige-Events oder PR-Promotion. Duttweiler war schlicht gottesfürchtig. Die Verantwortung für den Schwächeren folgte daraus. Weil das Prozent umsatz- und nicht gewinnabhängig ist, kommen wir auch in Krisenzeiten zu einem ungeschmälert attraktiven Programmangebot. Das Schweizer Tanz-Festival Steps gibt es zweijährlich seit 1988. Im Geist des Migros-Kulturprozents versucht es zum Wohle der Gemeinschaft die gesamte Schweiz zu erreichen. Es bespielte diesjahr 29 Städte drei Wochen lang mit zwölf Companien. Mit Erfolg, denn gut die Hälfte der Veranstaltungen war ausverkauft
Ein ganz wertvoller Beitrag des Festivals ist jeweils das Symposium. Sein Sinn? Die erlesenen meist ausländischen Gäste des Festivals, die durch das gesamte Land gelotst werden, sollten sich nicht nur in den Flu
ghafenvorhallen treffen, meint Hedy Garber, Leiterin der Direktion Kultur und Soziales des Migros-Genossenschaftsbunds. Nein, sie sollten einbezogen werden in inhaltliche Debatten. Zwei Drittel der Companieleiter von Steps #12 war auch
zur Stelle, dieses Jahr in den Vidmarhallen von Bern. Migros wünscht, aktiv Akzente in der schweizer Kulturlandschaft zu setzen. Dass Migros fördert und organsiert, das wissen wir, aber mit solchen thematisch gefassten Festivals und Symposien "investiert sie in Inhalte".
"Geld!"
Und was ist der Inhalt dieses Jahr? Zum ersten Mal sollte der Tanzmacher (Heinz Spoerlis Begriff)
im Mittelpunkt eines Symposiums stehen, sein künstlerischer, aber auch existentieller Werdegang. Kreativität und Karriere in der Choreographie war der Titel. Neben den doch wenigen Schweizer Choreographen, und natürlich Tänzern, waren Veranstalter, Förderer und Medienschaffende geladen. Die Presse glänzte durch Abwesenheit. Das visuelle Medium art-tv wird aber auf seine Kosten gekommen sein, als er Hans van Manen ins Visier nahm. Der Star der Geladenen war augenscheinlich in Höchstform. Humorvoll schilderte er, wie er zum Beruf kam. Wie er als Maskenbildner in die Tanzproben lugte - und bald für jemand einspringen sollte... Was wünsche Hans van Manen für den Tanz von heute? Der Rat eines der erfolgreichsten Choreographen adressiert an denheutigen Tanz könnte für die Anwesenden und jungen Choreographen unschätzbar sein. Doch auf die Frage ertönte es schlicht: "Geld!"
Dieser beschwörende Ruf wurde nach Manen-Manier aber sogleich humorvoll umgewandelt: "Wenn man den Tanz gerahmt an die Wand hängen könnte, sässen lauter Millionäre hier..."
Gelehrsam und mit Goethe-Zitaten gespickt sprachen 'Kreativitätsforscher' und Kunsthochschulrektoren von Kreativität und seinen Durststrecken. Ob den Betroffenen das von der Kanzel gesagt hilft, oder nur verstimmt, bleibe offen. Die Definition von Kreativität als Neukombination von Information im Wechselspiel von Konvergenz und Divergenz mag zwar biologische, psychologische und psychiatrische Erfahrungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Sie trifft auf Zellen nicht minder zu wie auf Choreographen, - und hilft in der Not keinen Schritt weiter. So wenig wie die müssigen Worte zur Sorge um den Nachruhm. Dies ist die einzige Sorge, die die ephemere Kunst nicht plagt.
Repertoirpflege als Chance
Eine Rednerin vom Fach, Karin Hermes, konstatierte - zwar in anderen Worten - wie der Tanz von heute rechts und links klaut. Für die Postmoderne der mobilsten aller Künste, des Tanzes, ist das durchaus legitim, doch besser wäre es, wenn man auch noch wüsste, was man klaut. So plädierte die Tanzrekonstrukteurin (sie holt notationgenau Tänze aus der Vergessenheit) und Choreographin für die Kenntnis aller Stilfrüchte, die auf dem Markt feilgeboten werden - und für deren Fairetrade. Damit aber die Früchte, noch bevor sie genetisch verändert (oder geklaut) werden, gekostet und ihren Namen in die Welt tragen können, bedürfen sie Märkte. Dafür brauchen, wenigstens die Früchte der Stilprägendsten einen wiederkehrenden Stand, an dem sie immer wieder als "Repertoir" hervorgeholt und aufgetischt werden können. - Wir Konsumenten könnten so auf den Geschmack kommen und sie unterscheiden lernen, bevor sie weiter zubereitet werden.
Intensive Tischgespräche
Wertvoll ist die integrierende Idee der Tischgespräche, eine Rarität in der Tanzszene. Da Förderer und Veranstalter so zahlreich zur Stelle waren wie die Künstler selbst, entstand ein sehr intensiver, zutiefst professioneller und erfahrungsgeladener Austausch. Träumte jemand z.B. gegenüber Sidi Larbi Cherkaoui sitzen zu dürfen? Dem Belgier Fragen zu seinen künstlerischen (Um)wegen zu stellen? Das Symposium bot an diversen moderierten Tischrunden mit den Companieleitern des Festivals dazu Gelegenheit.
Anerkennung, so ward an diesem Tag wissenschaftlich dargelegt, ist ein fester Pfeiler der Kreativität. Nämlich für ihre Motivation. Doch woher nehmen? Die belgische Tanzförderung ist weltweit vorbildlich. Der Schweizer Choreograph der freien Szene bettelt (abendfüllende!) projekt-weise um Geld, wird kaum angekündigt oder besprochen (die Schweizer Presse ist im Abbau und fusioniert) und Fachblätter gibt es keine mehr (die letzten drei gingen die vergangenen zehn Jahre ein). Was zunehmend den Ton angibt, ist die PR der Veranstalter und ihr Geschmack...
Wie gut tut da so ein Symposium, das wieder alle um den Tisch sammelt!
2. Beautiful Me , ein Stück mit afrikanischer Leuchtkraft
Steps stellt dieses Jahr seine Tanzstücke thematisch unter den Stern stilprägender Choreographenschicksale. Und da leuchtet Gregory Maqomas Stück bunt und hell. Es grenzt an ein feierliches Wunder, dem wir beiwohnen dürfen, wenn Maqoma sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf des Townships Soweto gezogen ein so positives und suggestives Werk schafft wie
Beautiful Me. Wie er in der Kindheit seinen Namen buchstabieren lernt (Gregory ist ein Zungenbrecher für die Xhosa, dem Volk, dem Nelson Mandela und Desmond Tutu angehören), hundertmal, lernt er auch die Liste derNamen, die in seinem Land (traurige) Geschichte schrieben. Doch er suchtnicht Rache noch Spuren seiner Ahnen, sondern verspielten Dialog. Die Spuren quellen ihm ohnehin aus den Gliedern: bevor er sich versieht und eine ausholende Spirale uns auffächert, ward schon die Erde angestampft und ihrem Geist die Kraft entliehen. Die Spirale selbst ist ein Geschenk des Inders Akram Khan, einem Schicksalsgenossen und gefeierten Choreographen in London. Auch er lernte die Kunst der Ahnen, den von den britischen Kolonialherren verpönten klassischen Tanz Kathak. Auch er fand zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung im Tanz von heute. Gregory sog den Kathak seines Freundes in sich auf wie begnadete Tänzer es tun: wie ein Schwamm. Wenn er mit einem weiten Rumpfkreisen die anvertraute Spirale in die Luft zeichnet, säumen feingliedrige Hindutanz-Finger die Shiva-fürchtige Pose. Doch dann folgt die Transformation: Greogorys Handflächen beginnen zu schwirren und zu flattern, ein weisender Zeigefinger verlässt das indische Symbolgebilde erzählender Geste, um auf die eigene Stirn zu pochen (in Kathak ist Eigenberührung tabu), und auf die Brust, sie als Büsser nach dem Gewissen abzuklopfen. Die Beine beben, doch sie folgen, mitgerissen, dem weisenden Finger, der ihnen den fernen Horizont deutet. In wenigen Minuten ist eine Geschichte erzählt, die Kontinente und ihre Identitäten verknüpft. Die Musik tut es ohnhin, denn das partiturlose Zusammenspiel der vier Musiker auf der Bühne verbindet die indische Sitar, Violine, Cello und Schlaginstrumente.
Wen interessiert, wo die zwei Minuten Material des Co-Choreographen Akram Khan stecken? Wen interessieren die virtuosen Verwandlungskünste, wenn Gregory von Vincent Mantsoe (einem weiteren Mit-Choreographen) anvertraute Tierahmungen vollbringt, stelzt wie ein Flamingo oder heranpirscht wie ein Tiger? Es ist der Dialog, der interessiert, den er webt und pflegt, auch mit dem Zuschauer. Wir helfen ihm am Ende, seinen Namen zu buchstabieren. Wiederholt. "Neunundneunzig", heisst's, und ein stürmischer Applaus bricht los.
3. Limón-Dance-Company
José Limóns Werke leben fort. Seine fünfzigjährige Companie ist vitaler denn je. Sie brachte viel Schwung und Atem in das Festival Steps #12. Auf dem Programm stand neben Limóns Klassiker A Moores Pavane, einem dichten choreographischen Meisterwerk von 25 Minuten, sein biblisches Stück There is a Time. Es ist ein programmatischer Tanz zu Salomos bekannter Textstelle "Alles hat seine Zeit".
Doch neben dem nachvollziehbaren ausdrucksstarkem Inhalt gilt für Schritt wie Schrift: die Form ist so sprechend wie des Predigers Wort. In der Form liegt Programm.
Schon Salomo wand die Weisheit in einen Reigen. Wie die grössten Kontraste im Leben dicht an dicht ihren Platz haben, so reihen sie sich bei Salomo Vers an Vers. Weinen und Lachen reichen sich die Hand. Wen wundert's, wenn die Kreisform José Limóns Stück There is a Time durchwebt? Sie ist am Anfang und Ende, vereint sinnbildlich die Kontraste und nimmt jeden einzelnen auf. Die getanzten Lebensphasen gliedern sich in ihr ein wie in den wiederkehrenden Zyklus der Natur der Mensch. Nach vielem hin und her, auf und ab mündet bei Salomo das Ende der Reihung, der Hass und Krieg, in den Frieden. Bei Limón wiegt sich da ein Kreis von Menschen, einander zugewandt, und formt das entsprechende Schlussbild.
Die Verwendung eines starken Sinnbilds allein ist noch nicht genial. Genial bei José ist, dass Kreise wie unmerkliche Kettenglieder die Choreographie durchziehn. Es kreist der Oberkörper oder ein imaginäres Gewicht rollt im Halbrund der Arme. Es kreisen die Köpfe, die durch die Fliehkraft einer Drehung ausschwingen. Wenn der Drehpunkt nicht in einem Körper liegt, sondern in der Mitte vieler, etwa beim Reigen, so schweissen die Tänzer sich gegen die Fliehkraft zusammen. Eine so ansteckende Erscheinung, die beim Kreistanz zum Einreihen einlädt: fest am Nachbarn verankert ist solch kraftvoller Schwung nur in Gemeinschaft zu erfahren und vor allem: wieder einzufangen. Ein in Wogen auspendelndes Phänomen, das in der Aus-Zeit von Kreistänzen ein seltener Blickfang ist.
Die Limón-Dance-Company pflegt aber nicht nur das Erbe. Sie belebt auch die Geschichte, die um José herum die Grossen prägte. Beispielsweise mit Anna Sokolovs Stück aus dem Jahr 1955, das in Bern zu sehen war. Es macht uns das politisch und gesellschaftskritische Engagement des modernen Tanzes wieder bewusst. Stilistisch eckt und schreit es, und kündet vom (deutschen) Ausdruckstanz. Und schliesslich vermittelt die Companie ihre jüngsten Sprossen, wie in Zürich zu sehen war: eine fliessende Choreographie des ehemaligen Solisten Clay Taglioferro.
4. HipHop wird Kunst
Was wünscht man sich mehr, als dass ein durch-und-durch-Künstler wie Bruno Beltrao sich einem Sprachkodex wie dem Break-Dance annimmt, noch bevor dieser gänzlich zur Attraktion verkommt? Bruno Beltrao lernte
den Kodex auf den Strassen der Vorstadt von Rio de Janeiro 1980. Mit 16 barst seine Kreativität und er gründete seine eigene Companie. Mittlerweile setzt er den Break-Dance dem choreographischen Know-how von heute aus.
Das wird am Programmheft deutlich, wo er grossen Wert auf den Einsatz von Raum legt. Dieser mag für den Break-Dance der Hinterhöfe eine immense Errungenschaft sein, der Zuschauer nimmt ihn gelassen für ein
Apriori. Doch Beltrao setzt damit Massstäbe: nie wieder werden wir durchgehen lassen, wenn Break-Dance-Figuren si
ch auf der Bühne in schäbigen Formationen (womöglich geometrischen..) gesellen. Wenn ehedem provokative Einzelkämpfer beim Batteln zu gereihten Show-dancer verkommen. Dank sei also dem Helden der Kunst wie Beltrao, der neue (Raum)wege sucht.
Atemberaubend ist ein Weg, den er seine neun Tänzer flitzen lässt. Man kennt ihn zwar, es ist die Manege, doch auf die Richtung kommts an: rückwärts rasen die atlethischen Körper ohne Geschwindigkeitsbeschränkung. Überholen gibts durchaus. Doch besonders beeindruckend sind die Ausweichmanöver des Gegenverkehrs. Nein, sie schauen nicht zurück. Auch nicht im Rückspiegel. Ihr blindes Abgestimmtsein ist die Quintessenz des Abends. Hatten die Individuen von Anbeginn an Kommunikationsprobleme, gegen Ende läufts reibungslos. Waren zu Beginn die Phrasen der Einzelnen monologisch selbst im Duett, gegen Ende tanzen neun gemeinsam. Hatten die Phrasen anfangs unabsehbare Schlusspunkte - ein Kopf, der statt einem i-Tüpfelchen nur abknickt, eine Schulter die verkrampft in die Höhe zuckt -, sind sie nach einer Stunde abgerundet. Lief zu Beginn der Austausch über missglückte Übersprungshandlungen, das zuckende Handgelenk, das ausbüchst und am Hinterkopf des Nebenmann zur Ruhe kommt, kreiste am Ende ein seliger Reigen. Auch wenn das vierbeinige Kreiseln ohne anzuecken an die wortlose Verständigung unserer langarmigen Vorfahren erinnert...
5. Trilogieabschluss: Babel(words)
Der gefeierte Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui hat unlängst in Brüssel das Abschlusswerk seiner Trilogie präsentiert: Babel(words). Das Tanzfestival STEPS holte es taufrisch in die Schweiz. Die Trilogie handelt mit humanistischem Anspruch von den Höhen und Tiefen menschlicher sowie religiöser Beziehung. Babel(words) ist ein theatralisches Werk, dessen Eklektik wohl Programm ist.
Am Anfang war das Wort. So beginnt die Bibel. Am Anfang war die Geste, so beginnt dagegen Cherkaouis Babel. Die Geste ging dem Wort voran, heisst es da. Doch Geste und Wort, die das behaupten, sind synthetisch wie eine Roboterstimme und die abgenutze Zeichensprache einer Stewardess an Board. Wie aber mag die Geste ehedem unverbraucht gewesen sein?
Da ertönen Trommeln (der fünf grossteils orientalischen Musiker) und die bunte Arbeitertruppe des Turms zu Babel hinter der Startlinie setzt ihre erste Geste: sie markiert ihr Gelände. Eine gute Elle bis zum Nachbarn, an den man stösst. Der wiederum reagiert und markiert: sein Territorium, eine Elle. Und so fort. Kurzgefasstes Drohgebärde reiht sich wie der Trommelschlag, zunehmend aggressiv. Diagonal in den Lüften arretierte Fusssohlen grenzen ihren Raum ab und wandeln rhythmisiert sich zum Kampfsport ohne Berührung. Die Eigenräume überschneiden sich, eine Elle greift bis in die Kernzone des andern, die Glieder dringen ein wie Enklaven. Schon früh lernt der Mensch, wie man mit andern den selben Raum teilt, - respektfordernd. Gewaltig.
Dann kommt die Neugier und Entdeckung des anderen. Die Entdeckung auch der Manipulation. Die synthetisch wirkende Stewardess-Figur, eine Überspitzung unseres Schönheitsideals, ist nämlich steuerbar. Gelenke und jedwede Auswölbung sind eine Klaviatur, an der sich genüsslich zwei Asiaten bedienen. Ein Hebeln bewirkt den Knick im Ellebogen, ein Druck das Drehen vom Hals. Die passende neurowissenschaftliche Rechtfertigung liefert uns wortreich ein Intellektueller - doch leider hat er uns zuvor schon erfolgreich die praktischen und metaphysischen Vorzüge des gigantischen Würfel-Designs (Bühnenbild: Antony Gormley) verkauft. Wir werden misstrauisch... Jede Geste des Redners sitzt, der Tonfall ist einstudiert wie der abgebrühter Vertreter. Auf dessen Rythmus echot das Ensemble synchron seine Gebärde. Im Rhythmus findet jede Gebärde ein Gegenüber, an dem sie angeheftet wird. Wie eine Brosche, oder eben - ein Manöver. Denn jeder Druck manipuliert: er knickt Ellebogen und dreht einen Hals. "Das Frontalhirn feuert dieselben Neuronen, ob wir berührt werden oder andere berührt sehen. Was auf die Empathieleistung des Menschen hinweist" säuselt der Sprecher. Oder auf das Know-how seiner Manipulation. Einfühlung und Einwirkung gehen oft Hand in Hand wie Cherkaouis Paare es zeigen: Ineinander vertrackt und verzahnt hantieren sie aneinander herum, kein Mensch weiss mehr, wer steuert und wer reagiert. Eine Bewegungsmaschinerie mit vier Ellbogen und zwei Hälsen, Impulsgeber und -empfänger in einem. Faszinierend.
Als letztes, nach schwindelerregend gedrehten und getürmten Riesenwürfel auf der Bühne , erfasst eine sehr erdene Bewegung das Ensemble. Eva (Navala Chaudhari) verführte bereits Adam, schlangengleich wand sie sich an ihm hoch und runter, umschlang ihn mit den Beinen und zog ihn, den Erschöpften, schliesslich zu Boden. Ein fulminanter erdverhafteter Tanz breitet sich da aus. Mit nacktem Oberkörper ist die Eva-Figur mal Nymphe, mit glänzender Haut dann wieder Schlange. Sie bäumt und wölbt sich in alle erdenkliche Richtungen, sie schleudert die Extremitäten des einen Körperendes zum anderen, ein vielseitiges Vorankommen (wüsste man nur, wo das Ziel ist). Beugen und schwingen lässt es sich vorzüglich auch mit anderen, und so steckt sie im Nu die Meute um sie herum an, alles kreucht und fleucht, übersät den gesamten Boden. Der Atem verbindet sie und schweisst die Bewegung zu einem Guss. Er macht die Energie hörbar, wie sie in einer fliessenden Spirale im Überschwang die Körper immer wieder hochschraubt und sich mannshoch entlädt. Oder saugt der Atem samt hochfliegender Arme an diesen Wendepunkten dem Himmel Kraft ab, um sie im Kreis auf den Boden gewunden zu erden? Ein Trance der Wiederholung zwischen den Gegensätzen. Ekstatisch.
Doch wie folgt eine Bewegungssprache aus der anderen? Wie löst die faszinierende die gewaltige ab, warum folgt die ekstatische danach? Chronologie im Werk ist seit Cunningham & Cage als ein Zufallsspiel entlarvt. Doch im Gegensatz zu jenen schürt Sidi Larbi Cherkakoui mit viel Symbolik unsere Erwartung zu verstehen. Verknüpft sind die verschiedenen Bewegungssprachen lediglich durch Worte, die wohlweisslich lose perlen können, nicht nur seit dem Fall von Babel. Wir finden keine Stringenz in der Bewegungsdramaturgie, noch eine choreographische Handschrift (zumal zwei zusammenarbeiten: Damien Jalet ist langjähriger Co-Choreograph). Die stilistische Eklektik ist Merkmal der Choreographen-Garde, die wie Cherkaoui aus der Wiege der Companie C de la B stammt. Wir lassen die Eklektik, spektakulär an diesem Abend dargeboten, dem gefeierten Wunderkind Sidi Larbi Cherkaoui des Themas zuliebe gern durchgehen. Zur Sprachverwirrung paart sich Tanzvielfalt. Doch nach dieser Trilogie warten wir auf eine Läuterung. Auch Genies, nicht nur arabische, vertragen ein Fasten.
Das Festival Steps ist und bleibt einer der Höhepunkte im Tanzangebot der Schweiz, das durchaus auch im Ausland als solcher wahrgenommen wird. Wir freuen uns auf die nächste spannende Ausgabe.