Vor fast 30 Jahren schlug Rosas danst Rosas in die Tanzszene ein wie ein Blitz und machte die Choreographin Anne Terese de Keersmaeker berühmt. Die damals aus ihrem Studienaufenthalt in New York zurückgekehrte brachte stilistische Innovation. Seitdem ist sie eine feste Grösse. 1994 wurde ihr die Leitung der Nachfolgeschule von Béjarts Mudra, deren Absolventin sie war, in Brüssel anvertraut./1/ Kürzlich (Nov. 2010) wurde sie zum Mitglied der Akademie der Künste in Deutschland ernannt.
Das Stück, mit dem Anne Terese de Keersmaeker ihre gleichnamige Companie gründete, war vorgestern in der Schweiz zu sehen. Mittlerweile ist es ein Klassiker des zeitgenössischen Tanzes, das der Zuschauer wohl schon aus dem preisgekrönten Film Thierry de Meys, einer Arte-Produktion, kennt./2/ Dort betört allerdings auch der visionäre Umgang Keersmaekers mit der Architektur. Wenn nämlich die Tänzerinnen nackte Treppenhäuser und lichtumflutene Fabrikhallen mit ihrem Atem und der treibenden Musik rhythmisieren.
Da hat die Guckkastenbühne des Forum Meyrin in Genf natürlich Startschwierigkeiten. Zumal die Beleuchtung des Beginns so vague gehalten war, wie das Stand-by unserer Geräte vor dem Arbeitstag. Nach und nach wachen die vier Figuren (allesamt namens Rosa) aus dem Schlaf, heben sphinx-gleich das Haupt. Noch sind die Schuhe nicht geschnürt, die getürmten Stühle nicht gereiht. Wen wunderts, wenn auch der Zuschauer noch gähnt, wenn das Licht zwanzigminutenlang just das krönende Haupt nicht bleuchtet und die Figuren eh sich noch schlaftrunken wälzen.
Doch dann, endlich auf den Stühlen samt Schuh platziert, beginnt die unwiderstechliche Sogwirkung. Der drängende Rhythmus der minimalistischen Musik Thierry de Meys und Peter Vermeerschs, sodann der Gang der Dinge von Rosa. Die vier werfen sich einen Blick zu und es kann beginnen: Gesten, Posen und eingefahrene Reflexe brechen zu Tag und formen Rosas Bewusstseinstrom, oder gerade den des Unterbewussten.
Sie streicht die Haare zurück, wirft einen fragenden Blick zur Seite während das Bein zur Gegenseite ausfährt, um den erwartungsvoll sich reckenden Körper breit abzusichern. Der Kinn sinkt ihr enttäuscht in die Handfläche, der Ellebogen stützt sich auf dem übergeschlagenen Bein. Der rutscht vom Knie, die Elle baumelt, der Kopf hängt. Da capo. Die Musik zieht an, die Haare fliegen zurück, der Blick durchdringt die Kulisse, das Bein stemmt sich weitab in den Boden, vorwurfsvoll knallt der Kinn in die Hand, der Unterarm saust ab, sie stürzt den Kopf vornüber.
Die Bewegungsfolge bleibt sich gleich. Aber welch ein Unterschied! Dass Dynamik mit Geschwindigkeit und Widerstand im Bewegungsfluss zu tun hat, das wissen wir spätestens seit Rudolf von Laban./3/ Dass ihre veränderte Qualität die einhergehende Bedeutung moduliert, wissen wir implizit. Ob dieselbe Abfolge mit der Musik im Gleichtakt oder synkopiert, ob ein angezogen, der Rest dafür gedehnt ist, generiert Bedeutung. Abstrakt-formale Spielerein mit der Materie Pose und Bewegung steuern Semantik. Ganz absichtslos.
Ob Posen arretierte Bewegung ist, zu Standbilder gefroren, oder umgekehrt Bewegung nur die Verbindung solcher erkennbarer Posen ist, ist keine müssige Frage. Sie stellt sich hier, weil Anne Teresa Keersmaeker auf dieser Schwelle balanciert: Entsteht Bewegung, weil man sich in Posen lanciert, sie auflöst, oder entstehen Posen, weil man sich nicht nur gehenlässt (release), sondern punktuell zusammenreisst? Ist Bewegung der Überhang, das, was abfällt, wenn man sich zu schwungvoll in eine Haltung wirft? Eines ist sicher: Bewegung ist bei Rosas nicht geführt, nicht vorgeführt. Deshalb gibt es wenige Linien, die wie Luftgestalten den Raum durchfurchen. Deshalb sind sie, wenn sie es denn gibt, oft ausgefranst. Ein lockerer Fuss hängt am Bein, ein Unterarm stösst nach einer Drehung am Schwungende am Gesäss auf und prallt wieder ab. Wiederholt. Als Leitmotiv.
Aus wenig, über Variation, viel zu machen, ist ein minimalistischer Ansatz und ganz nach Keersmaekers Geschmack. Aus vier Figuren Bodenmuster wie Diagonalen und Reihungen zu bilden, ist eine solche Variation. Sie wie auf dem Schachbrett Feld um Feld nach vorne ziehen zu lassen, ist eine andere.
Dass die Figuren gegen Stückende auch mal im Raum sich streuen dürfen und erst bei Phrasenende sich jeweils formieren, dass sie auch zu einem Partner Kontakt aufnehmen dürfen, macht aus der vervielfältigten Rosa ein Gruppen-Individuum-Gefüge, aus dem Unisono den Beginn eines Wechselspiels.
Doch da müssen sie schon ihre Schuhe ausziehen, und das Licht geht in Stand-by.
/1/ Der Name der Schule: P.A.R.T.S.
/2/ Film von Thierry de Mey
/3/Eukinetik
Das Stück, mit dem Anne Terese de Keersmaeker ihre gleichnamige Companie gründete, war vorgestern in der Schweiz zu sehen. Mittlerweile ist es ein Klassiker des zeitgenössischen Tanzes, das der Zuschauer wohl schon aus dem preisgekrönten Film Thierry de Meys, einer Arte-Produktion, kennt./2/ Dort betört allerdings auch der visionäre Umgang Keersmaekers mit der Architektur. Wenn nämlich die Tänzerinnen nackte Treppenhäuser und lichtumflutene Fabrikhallen mit ihrem Atem und der treibenden Musik rhythmisieren.
Da hat die Guckkastenbühne des Forum Meyrin in Genf natürlich Startschwierigkeiten. Zumal die Beleuchtung des Beginns so vague gehalten war, wie das Stand-by unserer Geräte vor dem Arbeitstag. Nach und nach wachen die vier Figuren (allesamt namens Rosa) aus dem Schlaf, heben sphinx-gleich das Haupt. Noch sind die Schuhe nicht geschnürt, die getürmten Stühle nicht gereiht. Wen wunderts, wenn auch der Zuschauer noch gähnt, wenn das Licht zwanzigminutenlang just das krönende Haupt nicht bleuchtet und die Figuren eh sich noch schlaftrunken wälzen.
Doch dann, endlich auf den Stühlen samt Schuh platziert, beginnt die unwiderstechliche Sogwirkung. Der drängende Rhythmus der minimalistischen Musik Thierry de Meys und Peter Vermeerschs, sodann der Gang der Dinge von Rosa. Die vier werfen sich einen Blick zu und es kann beginnen: Gesten, Posen und eingefahrene Reflexe brechen zu Tag und formen Rosas Bewusstseinstrom, oder gerade den des Unterbewussten.
Sie streicht die Haare zurück, wirft einen fragenden Blick zur Seite während das Bein zur Gegenseite ausfährt, um den erwartungsvoll sich reckenden Körper breit abzusichern. Der Kinn sinkt ihr enttäuscht in die Handfläche, der Ellebogen stützt sich auf dem übergeschlagenen Bein. Der rutscht vom Knie, die Elle baumelt, der Kopf hängt. Da capo. Die Musik zieht an, die Haare fliegen zurück, der Blick durchdringt die Kulisse, das Bein stemmt sich weitab in den Boden, vorwurfsvoll knallt der Kinn in die Hand, der Unterarm saust ab, sie stürzt den Kopf vornüber.
Die Bewegungsfolge bleibt sich gleich. Aber welch ein Unterschied! Dass Dynamik mit Geschwindigkeit und Widerstand im Bewegungsfluss zu tun hat, das wissen wir spätestens seit Rudolf von Laban./3/ Dass ihre veränderte Qualität die einhergehende Bedeutung moduliert, wissen wir implizit. Ob dieselbe Abfolge mit der Musik im Gleichtakt oder synkopiert, ob ein angezogen, der Rest dafür gedehnt ist, generiert Bedeutung. Abstrakt-formale Spielerein mit der Materie Pose und Bewegung steuern Semantik. Ganz absichtslos.
Ob Posen arretierte Bewegung ist, zu Standbilder gefroren, oder umgekehrt Bewegung nur die Verbindung solcher erkennbarer Posen ist, ist keine müssige Frage. Sie stellt sich hier, weil Anne Teresa Keersmaeker auf dieser Schwelle balanciert: Entsteht Bewegung, weil man sich in Posen lanciert, sie auflöst, oder entstehen Posen, weil man sich nicht nur gehenlässt (release), sondern punktuell zusammenreisst? Ist Bewegung der Überhang, das, was abfällt, wenn man sich zu schwungvoll in eine Haltung wirft? Eines ist sicher: Bewegung ist bei Rosas nicht geführt, nicht vorgeführt. Deshalb gibt es wenige Linien, die wie Luftgestalten den Raum durchfurchen. Deshalb sind sie, wenn sie es denn gibt, oft ausgefranst. Ein lockerer Fuss hängt am Bein, ein Unterarm stösst nach einer Drehung am Schwungende am Gesäss auf und prallt wieder ab. Wiederholt. Als Leitmotiv.
Aus wenig, über Variation, viel zu machen, ist ein minimalistischer Ansatz und ganz nach Keersmaekers Geschmack. Aus vier Figuren Bodenmuster wie Diagonalen und Reihungen zu bilden, ist eine solche Variation. Sie wie auf dem Schachbrett Feld um Feld nach vorne ziehen zu lassen, ist eine andere.
Dass die Figuren gegen Stückende auch mal im Raum sich streuen dürfen und erst bei Phrasenende sich jeweils formieren, dass sie auch zu einem Partner Kontakt aufnehmen dürfen, macht aus der vervielfältigten Rosa ein Gruppen-Individuum-Gefüge, aus dem Unisono den Beginn eines Wechselspiels.
Doch da müssen sie schon ihre Schuhe ausziehen, und das Licht geht in Stand-by.
/1/ Der Name der Schule: P.A.R.T.S.
/2/ Film von Thierry de Mey
/3/Eukinetik
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