Forsythe/Kylian/Mats Ek
Zwei Monate nach der Frankfurter Premiere von Forsythes Stellentstellen kann das Schweizer Publikum das Auftragswerk des Sadler's Wells London Rearray im Rahmen der Eröffnung des diesjährigen Migros-Kulturpozent Tanzfestivals Steps entdecken. Zwei Monate nach dem Hurra-Schrei der FAZ, "Na bitte, tanzen geht doch wieder" (Forsythes experimentelle Phase galt als Durststrecke), ist gar Hochleistung angesagt.
Wenn 'array' eine Aufstellung bedeutet, dann ist 'rearray' der wiederholte, dutzendfache Neubeginn eines Paares, das man aus dem Black Out je neu grell ausleuchtet. Aufgestellt und positioniert wird dabei niemand geringeres als der Star Sylvie Guillem und Danseur Étoile Nicolas Le Riche. Mal rücken sie von der Seite an, mal nähern sie sich aus den Ecken. Einmal stehen sie wie König und Königin auf dem Schachbrett: gemittet nebeneinander, zu uns mit dem Rücken. Oder in Folge allein, Solo ist eben auch eine strategische Option.
Wenn 'array' ebenso Reihung bedeutet, dann ist 'rearray' zwölffach verschieden gereihtes Bewegungsmaterial. Das Vokabular[1] ist der klassische Tanz, Forsythe würfelt und verkettet sie bizarr, ohne ihnen einen Sinn abzuringen. Schade, daß der noble Pariser Duktus die Sprengkraft nimmt, und der ehedem rebellisch entthronte Fokus (der Blick in The Loss of Small Detail), wieder die aufrechten Körper krönt. Während die Musik (David Morrow) waghalsig unseren Gehörsinn strapaziert, sind wir heilfroh um jede Dissonanz im Tanz. Dankbar um jeden Aus-und Einbruch balletthafter Folge. So zum Beispiel, wenn Sylvie Guillem sich in tiefe Hocke duckt, ein Bein wie ein Blitz ihr in die Höhe entfährt, sie ihn einfängt und unter sich erdet.
Dem oft gleichförmigen Tonus des Vorstückes setzt Jiri Kylians 27'52'' mit Ex-Tänzern des NDT kontrastive Dynamik entgegen. Fleischig entspannt sinkt Aurélie Cayla ins grand plié, worauf ihre Schenkel wie eine zuschnappende Falle zu-auf-zu-klappen. Lukas Timulak weichen ondulierenden Körperwellen entreißen sich explosive Sprünge. Die ausdrucksgeladenen Bewegungen, Kylians Stärke, hier begleitet von tiefgründig gesprochenen Versen und unkenntlich verzerrten Mahler-Themen aus der 10. Sinfonie (Musik: Dirk Haubrich), wirken nach Forsythe fast überfrachtet. Das zehnjährige Stück ist übrigens in einer anderen Version diese Spielzeit auch an der Züricher Oper zu betrachten.
Der Höhepunkt des Abends war eindeutig Mats Eks Bye. Das im letzten Sommer in Sadler's Wells London uraufgeführte Auftragswerk ist ein psychologischer Kunstgriff. Nicht nur zeichnet es gekonnt das Innenleben einer alleinstehenden Frau nach. Der bei Ingmar Bergman geschulte Mats Ek hat augenscheinlich Sylvie Guillem dazu gebracht, alle verführerische Virtuosität abzulegen. Entwaffnend ungekünstelt stiehlt sie sich durch eine Tür in ihre eigenen Gemächer, unausgeglichen treibt sie von Seite zu Seite. Kindheitserinnerungen steigen ihre Beine hoch, während ihre Füße schon im Reigen sie dem Parkett entlang tragen. Sie klopft unsicher von Wand zu Wand, auf Igor Pogorelich affektlos gespielte Beethovens Klaviersonate Op.111, und immer wieder ihr Leitmotiv: während sie schwungvoll das Bein zum Gehschritt ausschwenkt, zieht ihr Arm bereits nach hinten, Blick zurück. Dann der alles zurechtrückende Kopfstand: sie reckt die Beine gewinkelt, Füße wie auf einen Boden gestemmt - und harrt. Manche finden nur unkonventionell zu sich. Und erst so kann sie sich wieder unter die Leute mischen, die vor ihrer Tür lugen.
Der Abend ist Sylvie Guillems Liebesbekenntnis an den unkonventionellen zeitgenössischen Tanz. Auch das des Kulturprozents Migros'.
[1] "What we try to do is to keep the syntax logical without resorting to rhetorical ballet language. Choreography is a language. It’s like the alphabet and you don’t necessarily have to spell words you know..." sagte William Forsythe in einem Interview 1984 (zit. nach:. B. Kirchner, ‘Good theatre of a different kind’, Ballett International, August 1984, p. 6)
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